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Kapitel 1

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Heimat

Wir sind wieder unterwegs!
Wieder ist nicht ganz richtig.
Eigentlich sind wir geistig schon unterwegs seit wir im Herbst das Boot am Steg festgebunden haben und bepackt wie Marketender unsere Habseligkeiten ins Auto luden um nach Hause zu fahren.

Der Mensch neigt dazu seine eigenen Gänse für Schwäne zu halten und sich für unersetzlich. Wird sofort eines Besseren belehrt, wenn er einige Zeit durch Abwesenheit glänzte.
Du bist kein Freund, du bist ein Termin, ein Date, eine Verpflichtung, ein Eintrag im Notizbuch. Entfernst du dich, wirst du sofort gestrichen. Und vergessen. Du machst Platz für einen anderen Eintrag. Doch wehe du kommst zurück. Dann musst du dir den Eintrag in der Freunde Notizbuch aufs Neue hart erkämpfen.
Es sei denn, du hast eine liebe Freundin, wie wir, die diese schwere Aufgabe für dich vorbereitet und übernimmt.
Wenn ich schon unsere Bekannten, ob alte oder neue, benutze, wäre es nicht mehr als recht und billig, ihnen eine Tarnkappe überzustülpen, ihre Namen zu ändern, um so vielleicht zu verhindern, dass gar schlimme Satiren auf ihre Kosten, zu schrecklichen Repressalien führen.
Doch ich setze auf ihre Großmütigkeit, denn sie wissen ja von wem es kommt. Und ich war schon immer für Überraschungen gut.
Nehmen wir mal unsre Freundin Chantal und ihren Hermann. Chantal ist ein harter Kämpfer für den Zusammenhalt ihres Bekanntenkreises.
So war denn auch nur ein Anruf, einige Wochen vor unserer Ankunft, nötig und die Ankündigung:
„ Wir bringen einige Spanschachteln wundervollen Vacherin de Mont d’Or mit,“
um den Kampfgeist unserer lieben Chantal zu wecken.
Es wurde zwar kein geselliger Abend, aber doch ein wundervoller Schlemmer-Brunch mit unserem Heinzel, seiner Carla und uns vier.
Ohne Chantals Hilfe ist uns das Vergnügen des Wiedersehens mit einigen Bekannten vor Weihnachten nicht vergönnt gewesen. Und bei manchen hat es bis heute nicht mal zu einem Kaffeeklatsch gereicht.

Nach der Erleichterung, dass wir unseren angestammten Platz in manchem Notizbuch wieder eingenommen haben, erfolgte, nach dem kleinen am rechten und linken Ohr in den Äther gehauchten Begrüßungsküsschen, der liebevolle Willkommengruß:
“ Wie kann man denn so blöd sein im Winter nach Deutschland zu kommen, statt in den Süden zu fahren?“
„Ja, wir freun uns auch aufrichtig, euch wiederzusehen!“
Natürlich macht diese Frage nachdenklich.
Wollen wir denn unser geliebtes Boot, unseren kostbarsten ideellen Besitz, irgendwo am Mittelmeer, in der Fremde, deponieren? Wollen wir Weihnachten im Warmen, gar unter Palmen? Kein Schmuddelwetter, keine Weihnachtsmänner, deren Anblick einem schon im Oktober zum Hals raus hängt, die eigentlich auch nicht schmecken, sie niederzumachen aber einfach zur Adventszeit gehört?
Keine flimmernden Lichterketten, kein Pathos überschütteter Weihnachtsbaum, geschmückt in der Farbe der Wohnzimmergardinen?
Wollen wir überhaupt Besitz im Ausland?
Theoretisch macht ein Zweitwohnsitz schon Sinn. Man spart Geld für ein Hotel. Hat ein Zuhause in dem man sich wohlfühlt. Meist liegt er in einem begehrenswerten Teil der Welt und ist von ständigem Wertzuwachs betroffen, denk man. Ein Haus in Florida, eine Yacht in Key West, das macht schon was her.
Freunde von uns haben eine herrliche Segelyacht in der Karibik. Ich stelle es mir als traumhaften Genuss vor, unter strahlend blauem Himmel auf den Planken eines Traumschiffes zu liegen, im azurblauen Wasser zu baden, selbst geangelten Fisch zu grillen und die Rocks im Glas klimpern zu lassen.
Wenn diese Idylle dann noch gleich um die Ecke im Karpfenteich wäre, könnte nichts meinen Genuss trüben.
Doch leider liegt vor dem Genießen eine ganztätige Flugreise.
Alleine der Gedanke an das Getöse im Flieger, die mickrigen Sitze, konzipiert für die sieben Zwerge, keinesfalls für ordentliche germanische Hinterteile, meine geschwollenen Beine und aufgequollenen Hände, lässt einen Schauer des Grauens über meinen Rücken rieseln.
Ich bin wahrlich kein Feigling und kenne auch keine Phobien, aber fliegen ans andere Ende der Welt ist blanker Horror für mich.
So wird sich denn der Kontakt zu unseren kanadischen, australischen oder amerikanischen Freunden weiterhin auf längere Telefongespräche beschränken. Und unser Horizont bezüglich Cosmopolitan ist auf maximal 4 Flugstunden im Umkreis begrenzt.
Zum Glück für mich, geht es meinem Spatzel nicht viel anders.
Ein Besitztum gleich welcher Art, den man nicht innerhalb kürzester Zeit mit dem Auto inspizieren kann, das wäre nichts für ihn. Jeden Taifun in dieser Gegend würde er mit Vor- und Zunamen kennen. Er hätte keine ruhige Minute zu Hause.
Und ich hätte keine ruhige Sekunde unterwegs.
Sein Gemaule über Gepäckschleppen, Rumstehen im Flughafen, die viele Arbeit zu Hause, die er unterbrechen musste, seine Übellaunigkeit bei dem Gedanken an Hotels und Touristen, das alles hält man keinen ganzen Tag durch.

Leute, für die ein Leben auf dem Boot nicht das Richtige wäre, brauchen ein Haus in Florida. Das ist „in.“ Der Handyman, der sich um alles kümmert, ist preiswert, höchsten 500 $ im Monat, was ist das schon gegen die Kosten einer Yacht in der Sonne? Der Handyman kümmert sich um den Garten, mäht den Rasen und lüftet das Haus.
Natürlich kann er das nicht mit deutscher Gründlichkeit, deshalb wird einem auch nicht langweilig, bis der Garten auf Vordermann, alle tropfenden Wasserhähne repariert und jede Ecke nach nagezähnigen Emigranten abgesucht ist. Die herrlichen Orangen aus dem eigenen Garten kann man nicht verkommen lassen und verschenken kann man sie auch nicht, denn Nachbars sind selber reich gesegnet. Also werden sie ausgepresst und literweise getrunken, übersäuern natürlichen den Körper und lassen den Magen rebellieren. Die Amis werden nie vernünftig Englisch lernen und so sitzt man mit Magendrücken, heimatkrank und einsam am anderen Ende der Welt, im Altersheim Amerikas und muss, nachdem man seinen Jetlage überwunden und seine Erkältung auskuriert hat, auch noch jedem am Telefon erzählen, wie wunderschön doch wieder mal alles ist.
Und das Damoklesschwert des Rückfluges hängt ständig an seinem dünnen Pferdehaar über dir.

Wollen wir das?
Bloß nicht.
Uns die kollektive Weisheit und Erfahrung unserer Freunde zu nutze zu machen, hat uns ein Vermögen gespart. Wir wollen unseren Besitz nicht im Ausland, dazu fehlt uns einfach die innere Kraft und das Budget.

Doch es steht uns nicht zu über andere zu urteilen oder uns gar über ihr Seelenheil Gedanken zumachen.
Wir jedenfalls wollen nach unserem Boot schauen können. Wir wollen problemlos die Nachbarschaft wechseln, wenn sie uns nicht mehr gefällt. Wir wollen über Sauwetter schimpfen und in der nostalgischen Delikatesse unserer Sommer-Erinnerung schwelgen.

In einem französischen Supermarkt einzukaufen ist eine langweilige Angelegenheit.
Jeder ist freundlich, hat Zeit, bonjour und au revoir, merci und bon journée, alles so schrecklich normal.
Wie aufregend und interessant ist doch ein Einkauf im deutschen Aldi.
Die Kunden schubsen dich, rennen mit ihrer Karre in deine, drängen dich an der Kasse zur Seite oder quetschen sich mindestens 10 Mann vor dir in die Reihe. Hinter dir verschafft sich einer Platz auf dem Laufband indem er deine Ware ordentlich zusammenrückt, bis vor lauter Schieben die leichte ungarische Mädchentraube über den Rand hüpft, um beim Zerschellen auf dem Fußboden einen würzig lieblichen Weinduft zu verbreiten.
Die Flasche war mir wohl nicht so recht gegönnt.
Dafür kralle ich mir noch schnell einen Schokoriegel, bevor die Stimme der Vernunft meinen Gaumen hemmt.
Die Verkäuferrinnen und Kassiererinnen belegen regelmäßig Kurse: wie gelingt es mir auch wirklich jeden Kunden gleich unfreundlich zu behandelt, nie guten Tag und auf wiedersehen zu sagen und wo nur nehme ich immer eine schnippische Antwort her, wenn mich so ein lästiger Kunde was fragt?
Und ich, adrenalingeputscht, stehe an der Kasse, quetsche mit einem Knie meine Einkaufskarre gegen die Theke und versuche mit beiden Händen von meinen heranschießenden Lebensmitteln zu retten was möglich ist.
Nur um dann mit einem vernichtenden Blick und klimperndem Kleingeld genötigt zu werden endlich einen Geldschein zu zücken, bevor die nachschießenden Lebensmittel von meinem Hintermann den Rest meines Einkaufs endgültig von der Theke schubsen.
Das ist das Halali des kleinen Mannes, die Hatz Aldidente, nur leider bist du nicht der Jäger, sondern der Hase. Wie nur konnte ich das missen?

Dass unser Sommer nicht so ohne war, das war mir ja klar, doch meine Stretchröcke und –Jeans gehören zu der nachgiebigen Ausführung. Alles im Leben wird schwerer, warum wir nicht? Wohlweislich vermied ich jeden Blick auf die Waage und in den Ganzkörperspiegel.
Doch nach den Feiertagen konnten wir uns beide den nackten Tatsachen nicht mehr verschließen.
Wir waren so rund wie pralle Würstchen. Mein armes schlemmerverwöhntes Gehirn produzierte bei diesem Anblick nur einen Gedanken:
„Das Innere der Leberworscht ist noch völlig unerforscht.“
Der Schock der Waage traf uns so tief, dass fortan jede Art von Essen zu einem Minimum an Nahrungsaufnahme degradiert wurde. Für die Geschmacksknospen auf unserer Zunge wurde schon Magerquark zum Erlebnis.
Doch mein Gaumen hat wenig Sinn für die Unsterblichkeit.
Nach der Gesundheit zu leben, ist ein elendes Leben. Und eigentlich müssten wir heute so mager wie ein Hering ohne Rogen sein, doch außer einigen, viel zu wenigen Kilos und viel guter Laune haben wir nichts verloren.
Dann legte mir Sohn Nr. 2, Robin, freundlich die Hand auf die Schulter:
„Mutter, die Firma muss zertifiziert werden und im März wollen wir heiraten. Das schaffst du doch?!“
Das Leben hatte uns voll in Beschlag und fraß uns auf.
Stress und Dates und leerer Magen, wir fügten uns wieder unter das kaudinische Joch des Alltags.
Das Tagtägliche erschöpfte uns, in des Wortes verwegenster Bedeutung.
Wir haben es gemeistert.
Wenn man sich bemüht, ist das Leben nicht bedrückend und nicht beengend. Wenn man ein Ziel hat, auf das man sich freuen kann, ist es groß, schön und verlockend.

Anfangs wollt ich fast verzagen
Und ich glaubt, ich trüg es nie,
Und ich hab es doch getragen;
Aber fragt mich nur nicht wie!

Wir sind wieder unterwegs!!



 


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