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Kapitel 1
Heimat


Kapitel 2
Loreley

Kapitel 3
Die Mosel


Kapitel 4
Canal de la Marne au Rhin

Kapitel 5
Canal de la Marne á la Saône

Kapitel 6
Auf der Saone


Kapitel 7
In der Seille

Kapitel 8
Zurück auf der Saône

Kapitel 9
Der Doubs

Kapitel 1

Heimat

Am Ziel deiner Wünsche wirst du jedenfalls eines vermissen:

dein Wandern zum Ziel

Marie von Ebner-Eschenbach

Es wollte sich nicht einstellen. Dieses satte Gefühl der Selbstbestätigung.

Immerhin haben sich Doris und Manfred einen Lebenstraum erfüllt. Einmal die Donau bis ins Schwarze Meer fahren und auf dem Heimweg halb Südeuropa umrunden. Das haben sie geschafft. Sie haben eine abenteuerliche Reise hinter sich. Sie haben Sturm und Wellen getrotzt und wenn sie unterwegs einer über den Tisch ziehen wollte, dann waren sie clever genug die Reibungshitze nicht für Nestwärme zu halten.

Und trotzdem. Es wollte sich nicht einstellen. „Wo willst du nächstes Jahr hin?“ wollte Manfred wissen. Doch sie konnte es noch nicht ausdrücken. Dieser veritable Gehirnfurz der ihr im Kopf herumpolterte, den konnte sie nicht aussprechen, noch nicht. „Lass uns wieder nach Frankreich fahren. Lass uns all das machen, was wir dieses Jahr vermisst haben. Grillen, Bowle trinken, mit skurrilen Typen in der Wiese am Lagerfeuer sitzen, dummes Zeug reden, vielleicht endlich den Pot au feu kochen, für den wir schon zwei Jahre den Topf spazieren fahren. Einfach nur relaxen und zufrieden sein.“ Und Manfred nickte dazu. Er hatte einen harten Winter vor sich. Das Boot war in einem erschreckenden Zustand. Genauso wie ihre Finanzen. Die lange Reise um halb Europa und die Vorbereitungen dafür waren extrem teuer gewesen. Was man sich eingebrockt hat, muss man auch auslöffeln. Beluga musste vom Kiel bis zum Aufbau neu lackiert werden. Die Batterien hatten das ständige Geschaukel nicht ausgehalten. Sie wurden erneuert. Keiner kommt von einer Reise so zurück, wie er weggefahren ist. Auf Beluga traf das hundertprozentig zu. Bootfahren ist eine teure Schinderei. Doris hatte sich auf dieser Reise ernorme Arbeit gemacht und zu ihrem üblichen Reisebericht eine Kurzfassung geschrieben. Sie wollte gerne auch andere Bootsfahrer an ihren Abenteuern teilhaben lassen. Es gab so wenig Literatur über die Donau. Müsste sich nicht Gott und die Welt für so eine abenteuerliche Reise interessieren? Ist es nicht der Traum eines jeden Bootsfahrers einmal die Donau bis ins Schwarze Meer zu fahren? Im Internet fand sie eine Website mit Reiseberichten. Ob sie es da mal probieren sollte? Die Veröffentlichung war kostenlos. Aber machte das wirklich Sinn? Wer sucht schon Reiseberichte im Web? Wer liest oder sucht eine Bootsreise im Internet? Doris hat tagelang mit sich gerungen. Den ganzen Bericht noch mal tippen. Bilder hochladen und einfügen. Sollte sie wirklich so viel Zeit investieren? Sie hatte so viel anderes zu tun. Da mussten die Bücher für die Freunde gedruckt und gebunden werden. Aus den Erzählungen der Freunde, die in der Karibik Bekanntschaft mit Hurrikan Ivan gemacht hatten, wollte sie eine Story machen. Und dann war da noch dieser völlig neue Aspekt in beider Leben: das Baby, Carolin, das Enkelkind. Ganze Völkerstämme waren schon auf der Suche nach einem System das Ordnung in etwas so Elementares wie die Zeit bringt. Zeit ist ein Wort, das man vor sich herschiebt wie einen Schutzschild. Sie ist nicht greifbar, man kann sie nicht anfassen, nicht festhalten und doch ist sie immerfort um einen und wird abwechselnd gefüllt mit Langeweile, Müßiggang und Hasten. Man kann sie verplempern und stehlen, kann sie einfach so vertun und sie sich nehmen. Und was gibt es nur für verschiedene Arten von Zeit? Unzeit, Freizeit, Zeitpunkt, Schulzeit, Neuzeit, Hauptzeit, Zeitgeschichte, Zeitlupe, Zeitnot, Zeitraum, Zeitgenosse, Zeitgeist, Zeitbombe. Was also ist Zeit? Für Doris waren es die Stunden, die sie mit viereckigen Augen Text in den Computer hämmerte. Warum sie das tat? Wahrscheinlich für die Bestätigung, etwas vollbracht zu haben, für das nicht viele den Mut aufbringen und deshalb ein bisschen neidig über den Tellerrand schielen. Das macht ein gutes Gefühl. Und die Idee stellte sich als Volltreffer heraus. Die Resonanz auf die Berichte war umwerfend. Der Computer sprudelte E-Mails voller Anfragen und Glückwünsche. Wieder verbrachte sie täglich viele Stunden vor dem Computer und es entwickelten sich viele sympathische Kontakte mit anderen Bootsfahrern. So wurde es denn für beide ein ausgefüllter Winter. Sie stückelten ihre Zeit in Arbeit, Freunde besuchen und einladen, Enkelkind betütteln und warten, dass es endlich wieder Frühling wird. Doch der Winter schien nicht aufhören zu wollen. Selbst als schon lange Frühling angesagt war, waren die Tage bitterkalt. Ein eisiger Wind fegte heulend über das Land und schien alles Lebende erstarren zu lassen. Es war, als hätte ein hasserfüllter Dämon die ganze Welt in seinen grausamen Klauen. Wann würde die zarte Jungfrau Frühling ihn dazu verführen Erbarmen zu haben. Wann endlich nimmt das Versprechen auf Wärme, neues Leben und Wiedergeburt dem Wind seine Kälte und Grausamkeit und verzaubert ihn in eine leichte, laue Brise? Es sollte anhalten bis Ende März. Aber immer noch flog in ihrem Kopf ein kleines Teufelchen herum, das nicht eher zufrieden war, bis es bekam, was es wollte. „Was hältst du denn von Russland?“ wollte Doris wissen. „Von der Ostsee quer durch Russland ins Schwarze Meer, das wär doch was!?!“ Nun, Versuchungen bekämpft man am besten mit Rheumatismus und Geldmangel. Wenigsten eines davon traf ja zu. Und die Zeit für die Vorbereitungen einer solchen Reise, die waren einfach zu knapp. Also kein mentales Aufweichbad dieses Jahr. Es blieb bei einer Tour durch Frankreich, auch wenn sie dann wieder mit einer lupenreinen Lebensmittel-Schwangerschaft nach Hause kämen.

 

 

 


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