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Kapitel 1
Heimat


Kapitel 2
Loreley


Kapitel 3
Die Mosel


Kapitel 4
Canal de la Marne au Rhin

Kapitel 5
Canal de la Marne á la Saône

Kapitel 6
Auf der Saone


Kapitel 7
In der Seille

Kapitel 8
Zurück auf der Saône

Kapitel 9
Der Doubs

Kapitel 5

Canal de la Marne á la Saône

 

Zwischen Champagne und Bourgogne

 

Bereits die erste Schleuse entpuppte sich als wahre Katastrophe. Sie war nicht nur randvoll, sie lief sogar über. Und als wahre Krönung des Ganzen, war auch noch ein Absatz drin, auf den sich die Boote aufsetzten, wenn sie nicht tierisch aufpassten. Wer wohl so einen Mist gebaut hatte? Bootsfahrer konnte der nicht gewesen sein.

Rumpf und Auspuffe aus der Gefahrenzone zu halten war eine richtige Schinderei.

Die erste Schleuse wurde von einem Schleusenwärter elektrisch bedient. Die nächste war automatisch. Eine Stange musste gedreht werden, um den Schleusenvorgang einzuleiten. Der Schleusenwärter ratterte mit seinem Minicar bis zur Stange um zu beäugen, ob sie auch ja alles richtig machten. Ob er wohl annahm sie seien mitten in Frankreich von Himmel gefallen? Warum dieses Misstrauen? Die nächste Schleuse wurde bereits wieder von einem Schleusenwärter gedreht, der allerdings erst richtig erwachte, als Manfred recht aufdringlich hupte.

„Dis es net des räecht Frankriech gsie“, sagte Margreth am Abend, als sie gemütlich einen vin rouge am Picknick-table schlürften, „s wared ja richtäg unfräundlich, d Schleusewäärter.“

Womit sie durchaus Recht hatte. Die Herren und Damen konnte sich kaum zu einem freundlichen Kopfnicken aufraffen. Wahrscheinlich fühlten sie sich in ihrer Ruhe mehr als gestört.

Es waren die Imponderabilien, die wieder mal alle Pläne zunichte machten.

Sie liefen einer Peniche auf.

In diesem Kanal fährt vielleicht ein Frachtschiff im Monat, wenn überhaupt. Und sie hatten das Glück eines vor sich zu haben.

An Weiterkommen war nicht mehr zu denken. Penichen sind unheimlich langsam, hinter ihnen herzutuckern kann selbst aus relativ ruhigen Naturen wahre Choleriker machen.

Manfred kochte wie ein Kessel, der auf dem Herd vergessen worden war und dessen Deckel zu klappern begann.

Alles hatte sich gegen sie verschworen. Die Sonne knallte mit 50 Grad aufs Schiff. Die Schleusenwärter mit ihren schlecht möblierten Oberstübchen rissen die Schütze in den Toren auf und ließen das Wasser wie Sturzbäche einschießen. Doris traf ab der 3. gefahrenen Schleuse den Poller erst beim 2. oder 3. Wurfversuch. Das schwere Tau 2 m hoch werfen und 2 m weit, es ging einfach nicht mehr.

Er dramatisierte und fluchte, doch auch damit ging's nicht leichter oder schneller.

Irgendwo kamen sie an einem Wohnwagenlager vorbei. Ein kleiner Steppke kam angerannt. Er war so dreckig, ein pfiffiger Makler würde ihn bedenkenlos als Grund und Boden anbieten. Schon von weitem schrie er bonjour, bonjour.

Manfred wollte ihm ein paar Bonbons geben, doch wo sollte Doris Bonbons herhaben? Sie konnte ihre Weigth-Watchers-Punkte nur einhalten durch Mangel an Gelegenheit. Und das hieß, es gab nichts Süßes an Bord.

Da zückte dieser kleine Kerl doch tatsächlich ein winzig kleines Taschenmesser und machte unmissverständlich die Bewegung von Halsabschneiden – Gurgeldurchschneiden. Und er versuchte ein Gesicht zu machen wie Mecky Messer höchstpersönlich, oder vielleicht war's Jack the Ripper? Und je mehr Doris grinste, desto heftiger wurden seine Bewegungen am Hals entlang.

Da zog sie lässig ihr Notfallmesser aus der Scheide am Armaturenbrett. Schön nach dem Motto von Crocodil Dandy: das ist ein Messer. Und siehe da, allein der Anblick ließt den kleinen Halsabschneider rennen wie ein Hase.

Wie alt mochte der Bub wohl gewesen sein? Vielleicht 6? So entwickeln sich Machos. Männer wie Gockel, die glauben die Sonne würde nur aufgehen um ihnen beim Krähen zuzuhören.

Es gab an diesem Tag absolut keinen Grund mehr für Manfred mit seiner Schimpferei aufzuhören.

Es zerrte an ihren Nerven. Die Hitze kam dazu, die sie schon als junge Frau nicht gut vertragen hat.

Halb beleidigt, halb belustigt, halb verzweifelt – aber das waren zu viele Hälften und sie fühlte sich so alt wie sie rein rechnerisch auch war.

Irgendwann kam dann der Punkt wo sie sich fragte. „Warum tue ich mir das an?“

„Warum bleibe ich nicht gemütlich zuhause? Warum lasse ich mir von der Sonne das Hirn austrocknen, von sprudelndem Wasser die Arme rausreißen, von eiskalten nassen Tauen die Hände aufscheuern? Warum lasse ich mich von übellaunigen Schleusenwärtern blöde angrinsen und einem stänkernden Ehemann anmeckern?“ Warum sollte sie sich ständig mit nicht funktionieren Handys rumärgern? Mit brennenden Brennnesseln? Und gräulichen Fahrrädern? Mit Engländern, Holländern, quakenden Fröschen und aufdringlichen Spinnen?

Vielleicht sollte sie nur allen Männern die Köpfe aneinander schlagen bis sie dröhnten.

Sie würde künftig ganz normal Urlaub machen. Im Hotel. An der Rezeption Schlüssel und Verstand abgeben. Am Strand übellaunig in der verhassten Sonne, im noch verhassteren Sand liegen. Lange Wanderungen durch die Dünen machen. Sich zu Tode langweilen.

Der Punkt kam, der Punkt ging auch wieder.

Okay, das Abenteuer-Such-Gen, also weiter, auf ins Unbekannte.

Allerdings würde sie ein paar Bedingungen stellen. Und mit den Monsterlibellen würde sie anfangen. Sollte er sich verflucht noch mal Gedanken machen wie zu verhindern war, dass ständig 10 dieser Brummer um sie herum schwirrten.

„Die tun dir nichts!“

Mit dieser lächerlichen Aussage würde sie sich nicht mehr abspeisen lassen. Woher will er denn wissen, dass diese Viecher sie nicht künftig in ihre Nahrungskette einarbeiten würden.

„Und im übrigen brummen die wie Hubschrauber. Wer hat schon gerne den Kopf zwischen Hubschraubern, “ maulte sie missmutig.

Es gab nach diesem Tag nur eine Alternative: ein Gläschen Roten in den Lauf der Dinge einordnen und sich dem Sonnenuntergang entgegen saufen.

Sie legten eine Zwangspause ein. Die Peniche brauchte einen Tag Vorsprung, dann würden sie sie vielleicht nicht mehr einholen.

Ein Ruhetag war eine excelente Einrichtung.

Frühstücken, Fahrrad vom Schiff holen, in den Ort fahren, Bilder machen und Baguette kaufen für den Abend. Zurück, Kaffee kochen, Fleisch aufsetzen für Suppe, Boden mit Erdbeeren belegen für Mittags, Gemüse schnippeln für Gemüsesuppe, eine Maschine Bunt- eine Maschine Weißwäsche, Betten abziehen und waschen, Betten neu beziehen. Wäsche zusammenlegen und wegräumen, Kühlschrank abtauen, Staubsaugen. Maschinenkontrollen, Filtersiebe reinigen. Bilder archivieren und beschriften. Wasser bunkern. Uralten Gasgrill rauskramen, Grillmotor auseinandernehmen und schmieren. Mit Erstaunen feststellen, dass die mindestens 10 Jahre alte Batterie darin immer noch Saft hatte. Ein bisschen Bootsfahrerlatein dreschen mit den Belgiern.

Hoffentlich hatten sie nichts vergessen.

Ein Ruhetag war eine excelente Einrichtung. Müßiggang durfte sich keinen Ruhetag aussuchen.

 

 

Es schlich sich heran mit samtweichen Pfoten wie Lucianos Katze. Es waren nur ein paar Tropfen. Willkommene Tropfen, die eine kleine Abkühlung brachten und die Hähnchen auf dem Grill nicht im Mindesten tangierten.

Die Tropfen wurden größer, wurden Bindfäden. Dann prasselte der Hagel wie Pistolenkugeln auf sie herab. Dicke runde Eiskugeln donnerten ins Wasser und ließen Fontänen aufspritzen wie Springbrunnen. Der Kai färbte sich weiß als hätte es geschneit. Die Eiskörner machten aus dem Grill eine Kraterlandschaft, doch die Hähnchen drehten sich weiter, unberührt von den Eskapaden des Wetters. Das Gewitter zog vorüber. Hinterließ im Kanal einige abgeschlagene Äste und den herben Duft von Schwefel, doch der Regen blieb ihnen die ganze Nacht erhalten. Und die Temperaturen des nächsten Tages brachten es nicht mehr auf 35 sondern nur noch auf 13 Grad. Statt Badehose lange Unterhose!

Ein Gutes hatte der kurze Sommereinbruch, die Sonne hatte die Alltagsfarben aus ihren Gesichtern verbannt und einen zarten Pastellton wie Puder hineingezaubert.

Sie hatten großes Glück, dass das schlechte Wetter nicht lange anhielt.

Umgeben von bewaldeten Hügeln durchstreift der Kanal das Marne-Tal und brachte sie zur Scheitelhaltung, auf das Plateau von Langres.

Damit erst gar keine Langeweile aufkam, machten sie den Aufstieg mit 24 Schleusen an einem Tag.

„Das macht dir doch nichts aus? Oder strengt es dich an?“ fragte er mit dem harmlosen Blick eines Werwolfes kurz vor Mondaufgang.

Wie er nur auf die Idee kam, dass 24 Schleusen anstrengend sein könnten?

 


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