www. Beluga-on-Tour.de

 

 

Navigation

Kapitel 1
Heimat


Kapitel 2
Loreley

Kapitel 3
Die Mosel


Kapitel 4
Canal de la Marne au Rhin

Kapitel 5
Canal de la Marne á la Saône

Kapitel 6
Auf der Saone


Kapitel 7
In der Seille

Hühner und sonstiges Getier
Louhans
Abschied von der Seille

Kapitel 8
Zurück auf der Saône

Kapitel 9
Der Doubs

Kapitel 7

Die Seille  

Abschied von der Seille

 

Das Wasser des kleinen Flusses war in der trockenen Hitze beängstigend gefallen. Manfred hatte echte Bedenken angemeldet, dass sie evtl. nicht mehr durch den flachen Schleusenkanal von Schleuse 2 kämen. Doch das heftige nächtliche Gewitter, das besonders am Oberlauf der Seille gewütet hatte, füllte den fehlenden Wasserstand ruckzuck wieder auf.

Ihr Kühlschrank war gut gefüllt und außerdem wartete das Cote de bœuf schon eine Woche in Knoblauch und Olivenöl auf den Grillrost. Also legten sie ab und suchten sich mal wieder einen ruhigen Platz in den Büschen. Nach der Hektik der Stadt, dem Gerattere der Eisenbahn und dem Staub der vorbeifahrenden Autos kam ihnen die Stille der Landschaft wie ein Garten Eden vor. Ein Urlaub vom Urlaub.

In diese romantische Idylle ihres selbst gewobenen Kokons aus Lagerfeuer und saumseliger Gemütlichkeit knallte wie ein Faustschlag ein Kassandraruf, eine Freundin war sehr krank.

Konnte es etwas Brutaleres geben als das Schicksal? Es holte sie schlagartig aus den Wolken auf die Erde und in die reale Welt zurück. Mit dem Fuß auf der Clopumpe waren alle Glückshormone auf einmal davon gespült.

Sie war viel jünger als sie. Hatte ihr Leben so hundertprozentig im Griff. Sie rauchte nicht, sie bewegte sich viel an frischer Luft und ernährte sich gesund. Sie war schlank und agil. Warum also?

Könnte es sie, Doris, oder Manfred, nicht vielleicht auch treffen? Täglich? Dann, wenn sie überhaupt nicht daran dachten?

Aber die Freundin war eine Kämpferin. Sie war niemand, der sich als leere Kartoffelchips-Tüte durch den Rinnstein des Lebens treiben ließ. Sie würde es schaffen.

Doris spürte so etwas wie Panik, als hätte sie irgendwo die falsche Abzweigung genommen und dahinter läge nichts als Unheil und namenlose Furcht. Sie wollte aufspringen, weglaufen und hadern mit diesem Gott, der sich doch keinen Deut um das Leid der Menschen kümmerte, für die er zuständig war und die er angeblich so liebte. Eine Liebe, die nie gab, immer nur nahm und forderte? Anbetung, Verehrung, Gehorsam, Geld, Macht? Wunder ereigneten sich nie da wo man sie tatsächlich braucht.

Am Erschreckendsten war die völlige Machtlosigkeit, die Hilflosigkeit, das nicht helfen und trösten können. Angst ist ein Schmerz ohne Gnade. Sie macht auf einsame Art einsam.

Das Leben bestand nicht nur aus Sonnenzeit.

Die Zeit steht nicht still, weder die gute noch die schlechte, sie verändert sich ständig. Es nützt nichts, sich an sie zu klammern, denn sie ist kein statisches Gebilde und trägt einen nicht. Vielleicht kann man versuchen, die Zeit in der man gerade lebt ein kleines Stück mitzugestalten.

Diese Krankheit würde einen großen Teil ihrer Zeit, ihrer Gedanken und Gefühle verschlingen und ihrer aller Leben ein kleines Stück verändern und ihnen allen auch bewusst machen, wie vergänglich das Leben ist.

Viktor Hugo sagte, alle Menschen seien von Geburt an zum Tode verurteilt, doch die Vollstreckung sei auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben. Und genau diese Zeit war ihr Stück, sie galt es auszukosten. Darum mussten sie kämpfen.

Um endgültig auch den kleinsten Rest Regenbogen aus ihrer Lebenspfütze zu verbannen, imitierte Margreth den sterbenden Schwan in höchster Vollendung.

Zuerst behandelten sie ihre Unpässlichkeit nach dem Chili con Carne mit einem Kümmerling, besserten mit zwei Obstwässerchen nach und ließen sie letztendlich mit einer Spezialteemischung Marke Doktor Unblutig nachspülen. Doch ihr Krankheitsbild steigerte sich und stoppte erst kurz vor einer saftigen Gallenkolik. Die Pläne für eine sofortige Heimreise standen, als sie nach zwei Tagen Bettruhe und Teefasten eine Besserung verspürte und versuchte wieder am allgemeinen Umtrieb teilzunehmen.

Allerdings verzichtete sie in blässlicher Noblesse auch am dritten Tag auf die höchstens leicht fettigen Käsespätzle.

 

 

 

 

 

Nach dem 86. Karten-Match an einem dieser sich in die Länge ziehenden Ruhetage, gab die linke Mouse-Taste von Doris' Laptop den Geist auf. Eine Hilfe-SMS in die Heimat blieb erst mal unbeantwortet, da das Telefonnetz überlastet war und sich absolut kein Fünkchen durchbeißen konnte.

Manfred nahm sich des Problems mit der Entschlossenheit eines gestandenen Handwerksmeisters an. Mit Pressluft und WD 40 rückte er dem Problem zu Leibe, knallte auch schon mal den verflixten Kasten auf die Tischkante und hämmerte auf der vermaledeiten, sich störrisch klemmenden Taste herum.

Doris Eingeweide krümmten sich in wilden Zuckungen und schickten einen blauen Scirocco in ihre Magengrube. Leicht atemlos versuchte sie seine Hyperaktivität mit einem zu Hilfe gezogenen Schraubenzieher zu bremsen, mit dem Einwand, dass es vielleicht in Tournus eine externe Mouse zu kaufen gäbe. Da sie wie immer keine Daten gesichert hatte, war sie jedoch mittlerweile völlig überzeugt, dass es auch nichts mehr zu sichern gab und ihr sensibles Schreibgerät diese Art der Behandlung nie und nimmer überstanden hätte.

„Wenn der Computer kaputt ist, fahr ich heim!“, presste sie hervor.

Völlig irrational und unbegreifbar schien sich die Maschine eines besseres zu besinnen, vielleicht einfach um künftig dieser Art von Behandlung zu entgehen und funktionierte wieder so weit, dass Doris wenigstens eine Sicherung brennen konnte. Und erholte sich in Folge immer mehr, als hätte sie nie auch nur im Ansatz eine Fehlfunktion verzeichnet. Trotzdem bestand Manfred darauf in Tournus eine neue Mouse zu kaufen. Seine Bedenken, dass sie ihm tierisch auf die Nerven ginge und ständige Beschäftigungen für ihn hätte, wenn sie nicht mit ihrem Lieblingsspielzeug beschäftig wäre, machten ihn absolut taub für alle Einwendungen.

Ihre letzten Tage in der Seille hatten sie trotzt des gemütlichen, schattigen Plätzchens bekümmert und freundlos verbracht.

Margreth erholte sich wieder, doch die Nachrichten aus der Heimat waren weiterhin bedrückend.

 


zurück zu  "Tour de Plaisir"

zurück zu Reiseberichte

zurück zur Startseite