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Kapitel 5

•   Auf der Suche nach dem Heimweg
•   Gerüchteküche
•   Der Doubs
•   Possen in Rancheot
•   Le Vin
•   Besuch
•   Menschen und ihr Boot
•   Grand Canal d'Alsace
•   Plobsheim
•   Der Rhein
•   Speyer

Besuch

 

Eins – zwei – drei -- im Sauseschritt -- läuft die Zeit, wir laufen mit und bringen einen Knoten in unseren Lebensfaden. Besuch kommt. Vier Fresser, drei Tage, da muss schon einiges im Kühlschrank sein. Unser Einkaufsbon ist 102 cm lang. Zwei riesige Taschen, die Sackkarre und mein Spatzel brechen fast zusammen bis alles an Bord ist.

Freitagabend kurz nach sechs steigt er ein bisschen steifbeinig in Baume-les-Dames aus seinem Auto, der kleine dicke Maurermeister Karl-Heinz mit seiner Carla. Silbrige Haarstoppeln, die an ein abgeerntetes Feld erinnern, einmeterzweiundsiebzig im Quadrat, seine lineare Dynamik nach einer stressigen Arbeitswoche etwas auf Abwegen. Sie suchen ein Wochenende Ferien vom Unsinn des Lebens. Eine Tasche, groß genug, dass Pygmäen ihre Sammlung Schrumpfköpfe darin verbergen könnten, Beutel, Decken, kleine Rollen, „ob sie umziehen wollen?“ Die kleinen Rollen, das sind die neu erworbenen Luftmatratzen. Was tut man nicht alles für Freunde! Als Handwerker mit alter Tradition gewohnt ordentlich Stein um Stein mit einer Schicht Mörtel zu verbinden steht unser Heinzel auf Säulen der Gesellschaft zwar fest im Leben, aber dem komplexen System der Unberechenbarkeit dieses neumodischen Hightechgerätes doch etwas misstrauisch gegenüber. Eine Matratze, die sich selbst aufbläst ist auch für meinen Spatzel einen zweiten Blick wert. So knien denn die Kronen der Schöpfung ehrfurchtsvoll vor dieser neu erworbenen Technik, wohl um irgendwelche verborgenen Gesetzmäßigkeiten zu entdecken und auf die unglaubliche Eigendynamik zu harren. Ganz langsam und völlig unerklärlich erhöht sich das Volumen der Matratze. Carla kämpft derweilen damit, die ebenfalls neu erworbenen Fließdecken in riesigen Hüllen verschwinden zu lassen. „Mach nur nicht plötzlich auf gute Hausfrau“, knurrt ihr Heinzel, immer noch fasziniert auf die Matratze starrend. Flugs wird er zur Seite geschippelt, die Matratze verschwindet unter einem weißen Leichentuch. „Was ist das denn? Soll ich mich heute Nacht vielleicht erwürgen?“ „Glaubst du etwa du könntest das neue Bett mit deinem Schweiß zulappern?“ Ist die spitze Antwort seiner Holden. Entrüstet stürzt sich Carla auf ihren Heinzel, als er sich unverfrorenerweise in voller Montur auf sein weißes Lager wirft. So urplötzlich mit fast einer viertel Tonne Lebendgewicht belastet, entfleucht dem technischen Meistergerät eine leichte Flatulenz und sie macht sich schamhaft immer kleiner unter ihnen. „Heinzel“, quiekt Carla, „der Stöpsel, der Stöpsel muss rein.“ Im Brustton tiefster Entrüstung knurrt Karl-Heinz: „ Aber Carla ich bitte dich, doch nicht mit Zuschauern, unsere Gastgeber sind doch noch wach.“ Nun ihrerseits moralisch entrüstet, klettert Carla im zart gesteiften Sträflingsoutfit auf die bereits schon weiß bezogene Bank um mit untergeschlagenen Beinen und einem Glas Rotwein eine lebhafte Diskussion über seinen noch nicht angelegten Schlafanzug mit ihrem Liebsten zu beginnen und außerdem ist auch noch nicht hinreichend geklärt, wer nun auf dem technischen Wunderwerk und wer auf der Bank schläft. „Heinzel du geht jetzt nach hinten in das kleine Kämmerchen und ziehst deinen Schlafanzug an.“ Auf seiner teuren Unterlage kniend, wie ein Ministrant, doziert er mit erhobenem Zeigefinger: „Das ist kein kleines Kämmerchen und auch nicht hinten, das ist das Vorschiff.“ Trotzig weigert sich der Brave eine Weile sich auszuziehen, bis „ES“ natürlich diesen Kampf gewonnen hat. Doch wenn es um elementar wichtige Dinge geht, wie das Bett, ist es immer wieder erstaunlich, dass die Männer sich trotz aller wehleidiger Selbstbemitleidung von wegen unterdrückter Ehemann, der angeblich nie ein Mitspracherecht habe, doch völlig kompromiss- und problemlos durchsetzten können. „ES“ muss auf die Bank, Heinzel probiert das technische Wunderwerk, das die selbständig eingezogene Luft auch nicht wieder hergibt, wenn man nur den Stöpsel reinschiebt. Manchen Leuten kann nur eines das letzte Wort streitig machen, ein Echo.

Es gibt Dinge, die warten nur darauf zu passieren.

Gleich an unserer ersten Schleuse nehme ich meinem Spatzel den elektronischen Drücker aus der Hand, weil er ja mit Computern bekanntlich nicht so gut umgehen kann und setze die Mimik in Betrieb. Natürlich nicht ohne mich zu vergewissern, dass die allgemeine Aufmerksamkeit meinem enormen technischen Verständnis sicher ist. Allerdings stellen wir nach einigen Minuten fest, dass die Schleuse keinesfalls beabsichtigt meinen elektronischen Befehlen Folge zu leisten. Also klettert unser Heinzel unter Einsatz aller seiner verschobenen Bandscheiben ans Ufer um am Schleusenhaus nach Hilfe zu rufen. Die herbeigeeilte Schleusenwärterin stellt natürlich sofort fest, dass die Schleuse den Befehl erhalten hat aufwärts zu schleusen, statt abwärts. Nun könnte ich allerdings behaupten, dass dieses kleine Zwischenspiel beabsichtigt ist, um den Zugereisten gleich zu Anfang zu demonstrieren mit welchen Widrigkeiten man als Schleusentourist zu kämpfen hat, natürlich könnte ich als Schriftführer dieses kleine Missgeschick auch diskret verschweigen, denn schließlich ist es jedem Delinquenten erlaubt die Aussage zu verweigern, wenn er sich damit selbst belastet. Die völlig unangebrachten Schmähungen meines Spatzel ignoriere ich selbstverständlich: Was stört den Adler das Gekrächze einer Krähe! Es muss einem ja wohl noch erlaubt sein etwas Helligkeit in die Welt der Maulwürfe bringen.

Carla ist heute nicht auf Rosen gebettet. Man schiebt es auf die viele frische Luft oder etwa bevorstehende Unpässlichkeiten der weiblichen Spezies. Das kleine Gläschen Vin Rouge vom Vorabend kann es unmöglich gewesen sein. Zum Nachmittagskaffee serviere ich auf einem Tablett eine Ladung Kuchenstücke und etwas abseits eine Kopfschmerztablette für die leicht Indisponierte. Plötzlich wird Heinzels Blick ein wenig glasig. „ Hast du die Tablette schon genommen?“ Fragt er seine Carla. Die hütet sich den Kopf zu schütteln und winkt nur geschwächt ab. „Ich hab mich schon gewundert, wie in den Haselnusskuchen plötzlich eine Bittermandel kommt. Dann hab ich gerade die Tablette zerkaut.“ Alles brüllt los und spuckt Kuchenkrümel in die Gegend. Wer den Schaden hat spottet jeder Beschreibung. Aber immerhin ist Vorsicht besser als Nachsicht, vielleicht überfällt ihn ja ein leicht postmenstruales Unwohlsein, dann hat er schon mal vorgesorgt.

Dermaßen eingestimmt, verbringen wir ein lustiges Wochenende, essen und trinken reichlich und als ich mich am Montag auf die Wage stelle, spricht diese entrüstet: „ Es ist nicht erlaubt mit mehreren Personen aufzusteigen.“

 

Die Zitadelle von Besançon hat eine lange Geschichte. Durch die fast uneinnehmbare Lage auf einer vom Doubs umzingelten Insel, war dieses Gebiet bereits von den Urmenschen besiedelt. Die Kelten befestigten ihr Opidum, Caesar baute eine galloromanische Stadt und befestigte den Hügel, die Habsburger und Spanier, später der Sonnenkönig. Sie alle bauten an der Zitadelle und Vauban gab ihr den letzten Schliff und machte selbst die Stadt durch trutzige Mauern und Wachtürme uneinnehmbar.

Unser Weg durch den Doubs nähert sich seinem Ende. Kurz vor Montbéliard durchfließt er noch einmal den Kanal. Selbst bei Niedrigwasser ist seine Strömung stark. Er versucht die ihn querenden Boote mit sich zu reißen und nicht mehr herzugeben. Ganz sicher ist ihm mit einigen Bumsbooten schon des öfteren ein Spielchen gelungen. Bei uns hat er natürlich keine Chance. Der Fluss verlässt uns jetzt und wir fahren ausschließlich im Kanal weiter.

Das Schloss der Henriette von Württemberg in Montbéliard

                   

früher                                                  und                                       heute

 

Das Wetter hat sich geändert. Aus der blutigen Hitze des Sommers ist völlig ohne Vorankündigung Herbst geworden. Der erste Frühnebel hat sich in kleinen Perlchen bei uns eingenistet. Die Luft ist frisch und eine kühle Brise fegt die Agonie aus allen Sinnen. Plötzlich riecht Wiese wieder nach Wiese und Erde nach Erde. Die ersten Äpfel fallen von den Bäumen, Spatzen hängen wie Artisten an den Dolden des Holunders und picken seine schwarzen Beerchen.

Je weiter wir an den Rand der Franche-Comté Richtung Elsass kommen desto mehr verändert sich auch unsere Umgebung. Wir sind immer noch in Frankreich, aber es ist nicht mehr das Frankreich der Franzosen. Den Alemannen und Helvetiern ist es gelungen den Charme der ungenauen Präzision der Franzosen gründlich auszumerzen. Überall herrscht Ordnung, die Vorgärten sind mit der Nagelschere manikürt, die Straßen gekehrt, die Häuser ordentlich angemalt. Und wie die Missionare den Naturvölkern bunte Perlen beschert haben, haben die Germanen die Gallier mit Verbotsschildern beglückt. Bereits vor der Grenze zum Elsass ist nichts mehr erlaubt, der Weg der guten Vorsätze mit Verboten gepflastert.

Wir schnuppern Heimatluft


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