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Kapitel 4

•   Die Franzosen
•   Auf dem Canal de l’est branche
•   sud   zur   Saône (Vogesen-Kanal)
•   Die Vogesen und Lothringen
•   Neue Bekanntschaften
•   Barbecue
•   Auf der Saône
•   Ausländische Freunde
•   Petit Saone
•   Kabinettstückchen
•   Ländermosaik
•   St. Usage
•   Boatspeople
•   In Burgund- Canal de Bourgogne
•   Dijon
•   Cassis
•   Senf
•   Das Land Burgund
•   Wir erklimmen die Scheitelhaltung
•   Wie im Bilderbuch
•   Der Tunnel
•   Abwärts durch die Einsamkeit
•   Schleusendschungel
•   Ruhetag
•   Flavigny
•   Mit dem Fahrrad zum Barbecue
•   Es geht weiter
•   Alesia
•   Burgundische Wunder
•   Montbard
•   Rast bei Schloss Rochefort
•   Menschen beim Schleusen
•   Tonnerre
•   Die letzten Kilometer im
•   Burgund-Kanal
•   Besuch in der Yonne
•    Das Department Yonne
•   Eingeborene und Gäste
•   Abstecher in die Heimat
•   Canal du Nivernais
•   Viele Verkehr
•   Clamecy
•   Salat
•   Nationalfeiertag
•   Hiobs Brüder
•   Wer sich ärgert büßt
•   für die Sünden anderer
•   So’n Pech
•   Besuch hat sich angekündigt
•   Karl der Käfer
•   Canal lateral a la Loire
•   Sehr krumme Touren
•   Canal du Centre
•   Paray le Monial
•   Fete du Canal

•   Die letzten Kilometer zur Saone

Tonnerre

 

Das Schloss in Tanlay besteht aus zwei mächtigen Gebäuden, umgeben von einem Park mit Wasserspielen. Die Dienstgemächer und Pferdeställe daneben sind mindestens genauso beeindruckend. . Es macht einen leicht ungepflegten Eindruck. Bestimmt hat es mal bessere Zeiten gesehen. Der kleine Ort ist hübsch und uralt. Patrizierhäuser neben kleinen Bauernkaten und am meisten fasziniert haben mich die winzig schmalen Sträßchen. Das sind nicht einfach Zwischenräume zwischen zwei Häusern, nein eine richtige Gasse, mit eigenem Namen, die auf eine andere Straße mündet. Gegenverkehr wird schwierig und zwei Dicke wie ich kommen nur mit Baucheinziehen und Luftanhalten quer aneinander vorbei. Es gibt noch viele solcher Gässchen in Frankreich und sie werden auch eifrig benutzt.

Tonnerre lässt sich nicht lumpen. Die Stauhaltung zwischen zwei Schleusen ist Hafen mit Strom, Duschen und Wasser und keiner will Geld. Die Armancon teilt sich hier in mehrere Arme und durchfließt die kleine Stadt. Leider hat jeder Arm so wenig Wasser, dass Dutzende von Fischen in kleinen Tümpeln schwer japsent auf ihr Ende warten. In tieferen Stellen lassen sich von den Brücken herunter riesige Karpfen ausmachen, die dicht unter der Oberfläche träge dahin ziehen. Ein seltener, ein ungewöhnlicher Anblick.

Genauso ungewöhnlich, wie La Fosse Dionne, die göttliche Quelle der Römer. Tief in der Erde entspringt eine Quelle mit einem unterschiedlichen aber stetigen Abfluss.

 

Die Sage erzählt, dass das Bassin ohne Grund sei, eine andere Legende behauptet eine Schlange mit einem Mörderblick, der Basilik, hätte sich darin aufgehalten, bevor der heilige Bischof Johannes von Réôme die Quelle davon befreit hat, noch eine Legende macht gar eine Höllenpforte daraus. Es ist eine der Quellen Frankreichs, deren Erforschung wegen der engen Passagen, der starken Strömung und ihrer Tiefe sehr schwierig bleibt. Ist sie gereinigt, kann man auf dem Grund des Bassins den Eingang einer 2,50 m hohen Galerie sehen, die nach einem 28 m langem Durchgang durch eine Verengung aufgehalten wird und anschließend 360 m weiterführt, 61 m in die Tiefe. Das Wasser ist glasklar und schimmert in allen Blau- und Grüntönen. Ich tendiere sehr zum Höllenschlund.

1758 wurde um die Quelle das heute noch erhaltene Waschhaus errichtet, als Louis Déon Bürgermeister von Tonnerre war.

Eine brillante Überleitung zu dem interessantesten Bewohner der Stadt, nämlich des Bürgermeisters Sohn, Charles Geneviève Louis d'Eon de Beaumont, Chevalier Tonnerrois, Ritter von Tonnerre. Bereits seine Eltern konnten sich bei der Namensgebung nicht so recht entscheiden. So wurden denn die doppelten Vornamen voraussagend für seine Zukunft. Sein ganzes Leben war gezeichnet von Zweideutigkeit. Als junger Mann begann er mustergültig: Doktorat in Rechtswissenschaft, praktisches Studium in Finanzgeschichte, privater Diplomat, dient im Gemeindienst von Ludwig XV. Um bei Zarin Elisabeth eingeführt zu werden, verkleidete er sich als Fräulein Lia de Beaumont. Die in Russland erreichten diplomatischen Erfolge brachten ihm eine Ernennung zum Dragoneroffizier und Ruhm auf den Schlachtfeldern. Erneut erzielt er, im Gepäck Wein von Tonnerre, in England diplomatische Erfolge. Unstimmigkeiten mit dem französischen Gesandten und der Tod Ludwigs XV. bringen ihn in Schwierigkeiten. Er wählt endgültig das weibliche Geschlecht um das Gefängnis in der Bastille zu vermeiden. Von Königin Marie-Antoinette erhält er eine seinem neuen Geschlecht würdige Ausstattung mit prunkvollen Kleidern. Allerdings auch mit der Auflage sich nach Tonnerre zurückzuziehen.

 

Die Wirren der Revolution ruinierten ihn und er beendete sein Leben als Gaukler. In seinen Frauenkleidern stellte er sich in Duellen auf Messen zur Schau. Er starb in der Nähe von Tonnerre nach 49 Jahren als Mann und 33 Jahren als Frau mit unmäßigem Appetit. Der Chevalier war zwar ein Diplomat mit zweifelhaften Manieren und seine schillernde Persönlichkeit hat schon zu seinen Lebzeiten die Maler und Karikaturisten inspiriert, aber er war auch ein „homme des Lumière“, ein Mensch der Aufklärung, der zahlreiche Schriften und umfangreiche Korrespondenz hinterlassen hat.

Verfall nagt als Zahn der Zeit an einer vergangen Ära, wenn man sich nur drei Schritte aus der Fußgängerzone von Tonnerre entfernt. Ganze Straßenviertel sind eigentlich nur noch mit dem Bulldozer zu sanieren. Vernagelte Schaufensterscheiben, verrammelte Haustüren, offen stehende Keller, die als Müllkippen benutz werden. Sanierungsgebiet!

An einer Ecke steht eine alte Grand'mère mit einem struppig-braunen Spitzverschnitt. Blitzschnell schießt mir durch den Kopf, dass auch diese beiden Sanierungsgebiet sind.

Laut unterhalten wir uns über den Untergang der Ortschaften im Burgund, als es von hinten ruft: „ Ich höre deutsch, ich höre deutsch.“

Wir drehen uns um, wechseln die Straßenseite, begrüßen die Frau, die wirklich schon in ältere Register gehört. Woher wir kommen will sie ganz genau wissen, warum wir hier sind und wie. Brav erteilen wir Auskunft. Und sofort beginnt sie zu erzählen, von sich, ihrem verstorbenen Mann, der sie mit nach Frankreich genommen hat, von ihrem Haus auf dem Land, das sie aufgegeben hat, weil man dort nichts mehr einkaufen konnte. Von einem Freund, den sie in Bingen hatte und mit dem sie oft in Bad Münster essen war, und und und... Wir stehen in der brütenden Mittagshitze, in praller Sonne, umweht vom modrigen Geruch des Verfalls, streicheln das stumpfe Fell der kleinen Töle und hören geduldig ihrer Lebensgeschichte zu, solange, bis es sich mit Anstand vertreten lässt uns zu verabschieden.

„Es war so schön, mal wieder Deutsche zu treffen,“ ruft sie uns winkend hinterher.

Sie konnte bei uns einige Minuten Heimatluft schnuppern, das ist doch auch was!

 



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