www. Beluga-on-Tour.de

 

 

Kapitel 4

•   Die Franzosen
•   Auf dem Canal de l’est branche
•   sud   zur   Saône (Vogesen-Kanal)
•   Die Vogesen und Lothringen
•   Neue Bekanntschaften
•   Barbecue
•   Auf der Saône
•   Ausländische Freunde
•   Petit Saone
•   Kabinettstückchen
•   Ländermosaik
•   St. Usage
•   Boatspeople
•   In Burgund- Canal de Bourgogne
•   Dijon
•   Cassis
•   Senf
•   Das Land Burgund
•   Wir erklimmen die Scheitelhaltung
•   Wie im Bilderbuch
•   Der Tunnel
•   Abwärts durch die Einsamkeit
•   Schleusendschungel
•   Ruhetag
•   Flavigny
•   Mit dem Fahrrad zum Barbecue
•   Es geht weiter
•   Alesia
•   Burgundische Wunder
•   Montbard
•   Rast bei Schloss Rochefort
•   Menschen beim Schleusen
•   Tonnerre
•   Die letzten Kilometer im
•   Burgund-Kanal
•   Besuch in der Yonne
•    Das Department Yonne
•   Eingeborene und Gäste
•   Abstecher in die Heimat
•   Canal du Nivernais
•   Viele Verkehr
•   Clamecy
•   Salat
•   Nationalfeiertag
•   Hiobs Brüder
•   Wer sich ärgert büßt
•   für die Sünden anderer
•   So’n Pech
•   Besuch hat sich angekündigt
•   Karl der Käfer
•   Canal lateral a la Loire
•   Sehr krumme Touren
•   Canal du Centre
•   Paray le Monial
•   Fete du Canal

•   Die letzten Kilometer zur Saone

Die Franzosen

 

In Deutschland ist das Frühstück der Anfang eines mühseligen Tages,

in Frankreich ist das Frühstück das Ende einer wunderbaren Nacht.

Mit diesem einen Satz, ist der Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich bereits deutlich erklärt.

So leicht kann man es sich aber nicht machen, wenn man über dieses große, weitläufige Land und seine Bewohner berichten will. Frankreich ist um ein drittel größer als Deutschland und hat nur halb so viel Einwohner auf einen Quadratkilometer. Schon immer gingen große Ideen von diesem Land aus, die Französische Revolution bewirkte eine tiefgreifende und nachhaltige Neugestaltung der Gesellschaft ganz Europas. Noch heute beargwöhnt man den französischen Individualismus.

Womit ich gleich bei meinem Thema, dem Franzosen, als unbekanntes Individuum wäre.

Vielleicht würde ich sagen, dass sich die Seele von einem Italiener oder Spanier genauso grundlegend von der deutsch-preußischen Gründlichkeit unterscheidet, doch ich beäuge nun mal die Franzosen, deren Mentalität in so krassem Gegensatz zu meiner eigenen steht. Und vielleicht ist es genau dieser Gegensatz, der uns so anzieht an diesem Frankreich und seinen Bewohnern. Hier wurde uns zum ersten Mal in unserem Leben erlaubt, das durch ständige Hetze erworbene Kapital an Zeit in aller Ruhe aufzuzehren, am liebsten durch die süße Oblomowerei an einem Sonnentag auf einer Wiese.

Immer wieder frage ich mich, was es denn tatsächlich ausmacht, dass uns dieses Frankreich so sehr fasziniert.

Wieso weigern sich die Franzosen so zu sein wie wir?

Warum fällt es dem Franzosen so schwer in der Entwicklung von Sauerei zur Hygiene das menschliche Glück zu erblicken?

Warum streifen sie lieber in einem unordentlichen und altmodischen Paradies umher, als in einer blitzblanken Musterwelt?

Warum geben sie dem Fortschritt der Idee vor der Idee des Fortschritts den Vorzug?

Wieso wollen sie nicht zugeben, dass jeder Franzose eine handgestrickte Seele in sich trägt, die oftmals jedoch von nicht ganz hasenreiner Qualität ist?

Können sie nicht erkennen, dass selbst die edelsten Empfindungen Gefahr laufen eines Tages der Serienherstellung zum Opfer zu fallen?

Warum finden sie es richtiger, dass in Frankreich der Wagen der Zeit zerschlissene Polster hat, aus denen das Rosshaar herausquillt und davor lediglich ein kleines, vielleicht franziskanisches Eselchen gespannt ist, während er anderswo auf Schienen läuft und elektrisch betrieben ist, auch wenn ihn ein Schild „ Einsteigen verboten“ ziert?

Können die Franzosen nicht den Unterschied zwischen dem vollkommenen System einer sozialen Hängematte und einem unerschöpflichen Vorrat an vin rouge und baguette erkennen?

Wieso glauben die Franzosen Ordnung in ihrem Kopf zu haben, wenn doch auf ihren Hinterhöfen das pure Chaos herrscht?

Wissen die Franzosen nicht, dass der Mensch nur glücklich ist, wenn er arbeitet oder einen höheren Zweck erfüllt?

Wieso können sie dann glücklich sein, wenn sie unter Missachtung dieser Tatsache sich einen guten Tag machen, den Laden schließen, die Kunden aussperren, den Stuhl vor die Haustür auf die Straße rücken, um mit dem Nachbarn zu palavern?

Wie nur kommen sie auf die Idee, dass die Maschine, die zur Beschaffung freier Zeit des Menschen erfunden wurde, keine göttliche Verehrung braucht?

Wie ist es den Franzosen gelungen, die Idee der Menschlichkeit in eine französische umzuwandeln?

Wie können sie Gallikanismus und mystischen Nationalismus unter dem Hut des Patriotismus vereinigen?

Alles Fragen, auf die ich immer noch keine Antwort gefunden habe.

Fest steht, dass der einzelne Franzose grundsätzlich allen politischen Machthabern misstraut. Er kämpft mit List und Lust gegen die Regierung und den Staat. Aber er glaubt blindlings an die Nation. Er ist als einzelner Individualist bis zur Anarchie, aber er ist als Gemeinsamkeit ein einzig schlagendes Herz. Patriotismus in Form von

Aufruhr, Abwehr, Protest oder Streik schließt ihn fest in die Marschkolonne. Dem Franzosen fehlt es ganz eindeutig an staatsbürgerlicher Gesinnung. Seine Beteiligung am politischen Leben erfolgt meist nur in dem Bestreben, die staatliche Gewalt zu schwächen. Er muss diesen anonymen Mächten einfach mit Misstrauen begegnen. Irgendwie scheint ihm alles was vom Staat ausgeht abgekartet zu sein, um ihm Sand in die Augen zu streuen, oder gar um ihm sein schwer verdientes Geld aus der Tasche zu ziehen. So versucht er dem mit ähnlichen Waffen zu begegnen, indem er sein sauer verdientes Geld vor dem Fiskus versteckt. Nur die Arbeitnehmer sind verbittert, weil sie in ihrer Steuererklärung nur wenig verstecken können. Das ist wohl die erste Gemeinsamkeit mit uns, die ich entdecken konnte. Der Franzose opfert sein Blut, aber behält sein Geld. Er liebt es für die Religion zu fechten aber lehnt es ab nach ihr zu leben.

„Gesetze werden in Paris gemacht, das hat mit der Provinz nicht zu tun. Man will die Opposition oder die Wähler beeindrucken, den Präsidenten ärgern oder die Bürgermeister in ihre Schranken weisen“. Obwohl der Franzose dem Staat misstraut, bleibt er doch ein glühender Patriot.

„Der Mensch ist nicht für die Arbeit geschaffen. Beweis: sie ermüdet ihn“. In Frankreich arbeitet man von je her mit einer anderen Einstellung. Für den Franzosen ist Arbeit ein Mittel zum Zweck, ein notwendiges Übel. Der Arbeitstag wird aufgelockert, damit der Mensch nicht versachlicht und abstumpft. Der Maler, der nach ein paar Pinselstrichen von seiner Leiter herabsteigt, um erst mal einige Schlucke Rotwein im Bistro zu nehmen, der Supermarkt, der um 12.30 für eine ausgedehnte Mittagspause schließt, das kleine Tante-Emma-Lädchen, das täglich ums Überleben kämpft, aber im August vier Wochen seine Tür abschließt, damit Monsieur Dupont in Ruhe am Kanal angeln kann, und irgendwie kriegt man die anfallende Arbeit schon hin.

Natürlich hat der Franzose eine gewisse Achtung vor Bildung und Wissenschaft, doch er fühlt sich keineswegs dem Doktor oder Professor von nebenan unterlegen. Ob Handwerker oder Intellektueller, man unterhält sich wie mit seinesgleichen. Unterwürfigkeit wird man in Frankreich selten finden. Die Gleichheitsidee hat psychologisch viel stärker gewirkt als politisch und sozial. Deshalb kann sich die Idee „ der Kunde ist König“ nur schwer durchsetzen, hat man den König ja schon einmal einen Kopf kürzer gemacht. Die angeborene Zuvorkommen- und Höflichkeit der Franzosen darf man keinesfalls mit Unterwürfigkeit verwechseln. Sie leben immer und zu jeder Zeit ihr Liberté Égalité, Fraternité.

Verbote waren von jeher für den Franzosen ein rotes Tuch. Das Wort verboten muss umgangen werden.

Das Schild “betreten verboten“ reizt ihn sofort zum Betreten. Sieht er ein Schild „rauchen verboten“, steckt er sich eine Zigarette an. In einer Straße wo Parkverbot herrscht stehen lange Reihen von Fahrzeugen, immer in der Hoffnung, dass der Hilfspolizist nicht vorbeikommt, das eigene Vehikel übersieht, oder es kurz vor Feierabend ist und er keine Zeit mehr hat einen Strafzettel auszufüllen. Die Verkehrsordnung ist sowieso nur für die Polizei gemacht und im übrigen kennt der Franzose ja diese vielen Gesetze gar nicht, also kann er sich auch nicht danach richten. Ein Fußgänger, der was auf sich hält geht kreuz und quer über die Straße, (am Zebrastreifen hält ja sowieso keiner) es ist praktisch, hebt sein Selbstbewusstsein, zeigt seinen Hang zur individuellen Freiheit und seinen Mut sich jeder Gefahr auszusetzen. Das Schild „Angeln verboten“ ist irre praktisch, kann der Angler doch seinen Stuhl davor stellen und sich an der Stange anlehnen. Man muss Bestimmungen großzügig auslegen, versuchen ihnen ein Schnippchen zu schlagen und überhaupt wäre man ja kein Franzose würde man seinem Glück nicht etwas nachhelfen.

Und was unterscheidet die Franzosen und die Deutschen sonst noch? Die Emanzipation!!

Die französische Frau lebt nach dem Motto: wir sind zwar gleichberechtigt aber verschieden. Die Aufhebung der natürlichen Spannung zwischen den Geschlechtern würde eine öde Gleichmacherei zur Folge haben. Und welche vernünftige Frau will schon so was. Die Französin hat schon immer einen hohen Stellenwert im Familienleben und in der Politik inne gehabt. Von Madame Dubary, über die Pompadour bis Jean d'Arc haben die Frauen mit ihren natürlichen weiblichen Waffen gekämpft und gewonnen. Hat nicht selbst die Karikatur Marianne im Gegensatz zum deutschen Michel erfunden? Die Französin konnte das Matriarchat verwirklichen ohne ihren weiblichen Charme zu opfern und sie wird es nie zugeben.

Die Franzosen haben ein angeborenes Gefühl für Essen, Trinken und gute Produkte. Die Lebensmittelabteilungen der Supermärkte sind sehenswert. Es gibt zum Beispiel nicht nur einfach Hähnchen und Suppenhuhn, nein, es gibt alles, von der kleinsten Wachtel über das Küken bis zu Ente, Pute, Gans und Kapaun. Das ganze nicht etwa in der Gefriertruhe, sondern frisch und mit den entsprechenden Herkunftsbezeichnungen. Das gleiche gilt für Würste, Käse, Fleisch- und Milchprodukte. Der Besuch eines Marktes ist ein Muss für einen Franzosen. Hier flaniert er inmitten von Gemüse, Obst, Fleisch und Käse, und natürlich auch zwischen den Ständen mit Kleidern, Vorhängen und Matratzen. Und Qualität hat ihren Preis. Das ist dem Franzosen durchaus bewusst. Der Arbeiter, der seine Hose statt mit einem Gürtel mit einer Wurstkordel befestigt, ersteht selbstbewusst ein Kilo Krabben und in der Feinkostabteilung kann man ihn auch antreffen. Auch der ärmste Landarbeiter trinkt seinen Rotwein oder Cidre und vor dem Essen einen Aperitif, nicht zu vergessen den Digestif danach. Der Franzose verpönt den Rausch und ist davon überzeugt, dass der Wein das Bewusstsein nicht trübt, sondern verschärft und belebt. Deutsche könnten den Franzosen vorwerfen, dass es ihnen an Trinkliedern mangelt, doch wie soll man zum Wein singen, wenn man doch reden muss. Der Franzose erlangt beim Wein die Entmaterialisierung des Gesprächs, eine starke Kühnheit des Gedankens, eine ungeahnte Konzentration. Das Gleiche erlangt er bei einer guten Mahlzeit. Das Menü ist der Ausdruck des französischen Zivilisationsgedankens beim Essen. Allerdings gehören zur französischen Schlemmermahlzeit auch eine Unzahl von Ungeziefer, wie Schnecken, Frösche oder gekochte Därme und Kaldaunen, die in mir eher eine gefährliche Heiterkeit als Appetit erzeugen. Doch ein echter Franzose hat auch hier ein gutes Gewissen.

Und ich, mit meiner kleinen, korrekten, deutschen Krämerseele versuche dies alles zu verstehen.

Vielleicht wird es mir nach vielen, vielen Frankreichbesuchen irgendwann einmal möglich sein.

 


zurück zu  "Krumme Touren"


zurück zu Reiseberichte


zurück zur Startseite