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Kapitel 4

•   Die Franzosen
•   Auf dem Canal de l’est branche
•   sud   zur   Saône (Vogesen-Kanal)
•   Die Vogesen und Lothringen
•   Neue Bekanntschaften
•   Barbecue
•   Auf der Saône
•   Ausländische Freunde
•   Petit Saone
•   Kabinettstückchen
•   Ländermosaik
•   St. Usage
•   Boatspeople
•   In Burgund- Canal de Bourgogne
•   Dijon
•   Cassis
•   Senf
•   Das Land Burgund
•   Wir erklimmen die Scheitelhaltung
•   Wie im Bilderbuch
•   Der Tunnel
•   Abwärts durch die Einsamkeit
•   Schleusendschungel
•   Ruhetag
•   Flavigny
•   Mit dem Fahrrad zum Barbecue
•   Es geht weiter
•   Alesia
•   Burgundische Wunder
•   Montbard
•   Rast bei Schloss Rochefort
•   Menschen beim Schleusen
•   Tonnerre
•   Die letzten Kilometer im
•   Burgund-Kanal
•   Besuch in der Yonne
•    Das Department Yonne
•   Eingeborene und Gäste
•   Abstecher in die Heimat
•   Canal du Nivernais
•   Viel Verkehr
•   Clamecy
•   Salat
•   Nationalfeiertag
•   Hiobs Brüder
•   Wer sich ärgert büßt
•   für die Sünden anderer
•   So’n Pech
•   Besuch hat sich angekündigt
•   Karl der Käfer
•   Canal lateral a la Loire
•   Sehr krumme Touren
•   Canal du Centre
•   Paray le Monial
•   Fete du Canal

•   Die letzten Kilometer zur Saone

Eingeborene und Gäste

Mich an der Süße der Kirschen labend wie der Säugling an der Muttermilch, räkle ich faul mit einem Schmöker auf dem Achterschiff, als Manfred von einem Erkundungsgang zurück kommt: „ Zieh dir was an, wir gehen ein Bier trinken.“

Bei dieser Tonlage ist Widerspruch völlig unangebracht, Befehl ist Befehl.
Ich schnappe meine Utensilien: die Schüssel mit Kirschen, das deutsche und das französische Handy, den Schmöker, Brille und mein volles Glas Apfelschorle und überlege mir, dass der Mensch eigentlich eine absolute Fehlkonstruktion ist, zwei Arme und Hände sind doch wirklich viel zu wenig. Vielleicht wäre eine Kreuzung mit einem Octopus eine sinnvolle Ergänzung der Evolution.
„Wo willst du denn hin, hier ist doch weit und breit nur Landschaft?“
„Da vorne ist ein Campingplatz und der Betreiber hat mich zu einem Bier eingeladen. Und als ich ihm gesagt hab, ich könne nicht so lange weg bleiben weil du allein an Bord bist, hat er gesagt ich soll dich holen.“
Unsere letzte Flasche Naheriesling, hoffentlich kann er sie schätzen, und ein Beutel Chips wandern in einen Plastikbeutel, man braucht ja ein Mitbringsel.

Durch den Bau der Derivation wurden besonders irre Mäander der Yonne abgeschnitten und eine kleine Insel entstand. Jedes Jahr ab September führt die Yonne Hochwasser und überflutet die Insel vollständig und mit ihr auch den Campingplatz von Marc. Neben der tiefliegenden Straße wurde ein Holzsteg gebaut, damit die Bewohner von Cézy wenigsten zu Fuß ihr Dorf erreichen können.

Trotzdem macht der Campingplatz einen gepflegten, ordentlichen Eindruck. Marc kommt mit seinem kleinen Traktor angedüst, als es uns kommen sieht. Seine Frau begrüßt uns als erste.
Eine ältere, leicht schmuddelige Person mit einer unmöglichen Frisur und einem grauenhaften Gebiss.
Freundlich schüttelt sie uns die Hand und ihr strahlendes Lächeln verschönt ihr faltiges Gesicht.
Marc sieht aus wie ihr Sohn. Die Hosenbeine seiner kurzen Boxershorts hat er nach oben gekrempelt, den Bund nach unten.
Mit einem Kauderwelsch aus französisch und englisch bietet er uns Platz an, an einem wohl weißen Gartentisch, auf Stühlen die noch die Patina des Winters tragen.
Wir sind nicht heikel.
Madam, leider hat sie uns beim Vorstellen keinen Namen genannt, bringt einen Teller für unsere Chips, Marc schupst sie etwas zu Seite, um Platz zu machen für seine Pistazien, dass die Hälfte davon auf dem Tisch zwischen den Hinterlassenschaften von ganzen Generationen von Spinnen und Mücken, zwischen Fliegen, kleinen schwarzen Käfern, den abgeworfenen Fruchtständen der Linde über uns und dem klebrigen Saft der selben landen, kann ihn nicht stören.
Aus dem Kühlschrank holt er eine Flasche Aligoté, erklärt uns stolz und wortreich, dass dieser Wein eine Spezialität des Burgund ist und lässt unseren mitgebrachten deutschen Wein diskret verschwinden.
Beim Verkosten des Aligoté stelle ich amüsiert fest, dass dieser genauso sauer ist, wie die Flasche, die wir erstanden haben und jetzt ist mir auch klar, was sich Felix Kir bei der Erfindung seines Cocktails gedacht hat. Er wollte weniger seinen leckeren Creme des Cassis an den Mann bringen, als den geschmacklich knapp neben dem Essig rangierenden Aligoté genießbar machen.

Eine große ältere Frau, gebaut wie ein Hydrant stößt zu uns. Marc stellt sie vor als seine „Mätresse“, als alles lacht, berichtigt er sich, sie wäre seine zweite „ Maman “.
Frederic der Schleusenwärter ist auch da. Scheinbar ist es im Burgund ein besonderes Kennzeichen der Schleusenwärter wenig Zähne zu haben. Mit vollständigem Gebiss wäre er ein hübscher braungebrannter junger Kerl mit einem gewissen Charme. Er ist stolz darauf, dass er einige Worte deutsch spricht: „Schwazwald“ und „aufwidesehen“.
Madam entzündet die fünfte Gauloises , vergrößert damit den Saustall auf dem Tisch noch um einen Ascheregen, als wir endlich auf die allgemeine Gesundheit anstoßen: a votre santé.
Wie von der Tarantel gestochen spritzt Marc auf und vergrößert damit meine Bedenken, dass irgendwann einige Teile seines Geschlechts aus der hochgekrempelten Hose hüpfen, und schwingt sich auf sein Fahrrad. Nach einigen Minuten kommt er zurück, im Schlepptau zwei ältere Leutchen.
Die Vorstellung erfolgt in Französisch, die nachfolgende Unterhaltung in Deutsch. Die Holländerin hat eine schrecklich verwachsene Wirbelsäule und einen Buckel wie der Glöckner von Notre Dame. Aber sie hat die schönste Tönung einer sonnengebräunten Haut, die ich je bei einem Menschen gesehen habe.
Zwei lebhafte alte Camper, die ihren Sommer, ähnlich wie wir auf dem Wasser, verbringen, in dem sie mit dem Wohnwagen über Land zigeunern. Wenn es kalt wird gehen sie heim, nicht vorher.
Im Winter fertigt Carlo kleine Schnitzereien an, die er im Sommer für ein paar Cent auf den Campingplätzen anbietet, um die Kasse ein bisschen aufzufrischen sagt er, doch seine Frau lacht ihn aus, Material und Farbe zum Bemalen sind teurer als der Preis den er erwirtschaftet und das meiste verschenkt er sowieso. Auch wir erhalten einen zauberhaften kleinen Schmetterling, hellblau mit weißen Tupfen. Eine bleibende Erinnerung an einen Menschen, den wir wohl nie mehr wiedersehen werden.
Ein vergnüglicher Abend, Gespräche im Kauderwelsch der Sprachlosen, in Deutsch, Englisch, Französisch und Holländisch, das soll uns erst mal einer nachmachen. Und die spontane Gastfreundschaft soll erst einmal einer den Franzosen nachmachen.

Natürlich gibt uns das Management by Chaos der Franzosen Stoff für unsere alltägliche Frühstücksdebatte. Und wir kommen wie jedes Mal zu dem Schluss, dass wir eigentlich froh sind, dass die Franzosen so sind, wie sie sind, weil wir von ihrem ungebändigten Freiheitswillen und ihrer Ignoranz irgendwelcher Gesetze nur profitieren. Immer noch hitzig diskutierend machen wir uns allerdings früh auf, um in dem kleinen Dorf Cézy vielleicht einen Salatkopf zu ergattern.

Manfred hatte schon früher mit dem Rädchen festgestellt, dass es da einen Bäcker, einen Metzger und einen kleinen Tante-Emma-Laden gibt.
Die Tür des Lädchens steht auf und als wir über die Schwelle treten, kräht uns unsichtbar zwischen den Regalen ein „gute morgen“ entgegen. Ein kleiner glutäugiger Türke wieselt auf uns zu und begrüßt uns mit Handschlag. Sein Deutsch ist hervorragend, seine Salatköpfe weniger. Er vertröstet uns auf später, da bekäme er frische Ware, doch als wir gerade unseren spärlichen Einkauf bezahlen wollen, trudelt der Kumpel mit frischem Gemüse ein. Ich stelle mir vor in unserem Aldi würde mich plötzlich die Marktleiterin, der ich als Stammkundin und durch unverschämt dreiste Fragen, wie etwa wo denn heute die Würstchen versteckt wären, bestens bekannt bin, mit Handschlag persönlich begrüßen. Ich bin sicher, ein plötzlicher Herzkasper würde mich dahin raffen, mein Weltbild käme ins wanken oder ich könne mich nie wieder von diesem Schock erholen.

Die Bäckersfrau amüsiert sich köstlich, als mir mein Spatzel ein Erdbeertörtchen aufdrängt, obwohl ich ihn händeringend bitte doch auf meine Figur und nicht ewig auf meinen Gaumen zu achten, doch dafür räche ich mich umgehend und handle ihm beim Metzger eine Portion frisch gekochte Rippchen ein, die seinen Cholesterinspiegel erblinden lassen.

Diogenes der Weise aber kroch ins Fass und sprach: „Ja ja! Das kommt von das!“

 

 

 


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