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Hiob's Brüder und sonstige Querelen
Trotz der kurzen Nacht starten wir früh, um dem Geklüngel von ca. 30 hier vertäuten Booten zu entgehen. Auch die Schuhkartons mit den Kindern liegen im Kanal. Bevor wir die Taue einholen, steht der Engländer mit der großen Tjalk an unsem Heck, erzählt mir einen Roman, wie wunderschön er unser Boot fände und er hätte auch mal so eines kaufen wollen und es dann doch nicht gemacht und er könne sich nicht mehr so genau erinnern, wie denn so ein Boot innen aussähe und so geht das Gesülze weiter, bis ich ihn frage, ob er denn reinschauen wolle. Natürlich ziert er sich vornehm englisch, es wäre ja erst acht Uhr, doch das hat ihn ja auch nicht gehindert um diese Zeit bei uns anzuklopfen. Da wir immer noch neben dem Belgier liegen, muss er über dessen Boot klettern und kaum hat er den Fuß über der Reling, kommt Karl der Käfer mit seinem Yorkshire-Kampfhamster Ramses vom Gassi gehen um die Ecke. Wie ein Berserker geht er sofort auf die arme Haut von Engländer los und ich habe alle Hände voll zu tun, ihn zu beruhigen, damit er ihm nicht an die Gurgel geht oder sich an ihm festbeißt und ihm zu erklären, dass Englishman uns besuchen will. Schwer zu verstehen morgens um diese Zeit, nicht nur für Belgier. Der vornehme Leimi hat doch tatsächlich morgens um acht als er die Schuhe in unserem Boot auszieht tiefschwarze Hornhaut an den Fersen, oben hui, unten pfui? Karl ist gegen uns Teutonen-Stammbäume ein richtiger Zwerg. So klein wie er ist, so giftig ist er auch. Passt ihm was nicht, z.B. das Geknalle von Feuerwerkskörpern neben unseren Booten am Nationalfeiertag, pumpt er Adrenalin in die Adern, bläht das Brüstchen und kläfft los wie ein Bluthund. Er ist ein harter Brocken. Nein, eher ein Minenfeld, ein verdammtes Kriegsgebiet. Je kleiner die Eidechse, umso größer die Hoffnung ein Krokodil zu werden. Wenn er nicht kaut, dann raucht er und ist dabei dünn wie ein Strohhalm. Die Hitze kocht uns langsam gar. Verschwunden sind die wogenden grünen Wiesen, Weiden und Felder. Der unbarmherzige Kuss der Sonne lässt nur verbrannte Erde zurück. Die Schimmel-Kühe rotten sich in dem wenigen Schatten der Bäume und Büsche zusammen Die Flüssigkeit im Kanal ähnelt mittlerweile mehr einer Kloake denn Wasser. Tote, ertrunkene Tiere, Ratten, Rehe und Maulwürfe schwimmen aufgebläht darin. Und was wir aufwühlen würde von Farbe und Geruch jedem Puhlloch zur Ehre gereichen. Manchmal haben wir Grundberührung, doch die Höhe über uns hat bis jetzt immer gereicht. In den Karten ist die Brückenhöhe angegeben mit 2,71 m, wir haben 2,80 m und der Tiefgang mit 1,20 m, wir haben 1,30 m. Also kein Wunder, dass es manchmal untendrunter rumpelt.
Haben wir gedacht mit allen Schikanen der Kanalschipperei mittlerweile vertraut zu sein, finden wir uns plötzlich vor einer Hebebrücke wieder. Einige Minuten stehen wir dumm rum, gucken dumm rum, hupen auch ein bisschen dumm rum, bis wir uns erstaunt eingestehen müssen, dass alles nichts nützt, es gibt keinen Brückenmann. Von der anderen Seite klettert ein Charterer auf die Straße, auch er hat gespannt, dass hier „selbst ist der Mann“ von Nöten ist. Völlig überfordert und hilflos hängt er an der Kurbel. „Fahr mal rechts ran, ich springe raus und gucke was der treibt,“ verkünde ich heroisch. „Du springst mal sicher nicht ans Ufer, so dabbisch wie du bist, glaubst du ich will dich den Rest des Sommers im Fahrstuhl rumkarren?“ Einmal in 55 Jahren habe ich mir den Fuß gebrochen, sofort hat er mich als schusselig abgestempelt und das muss ich mir jetzt für den Rest meines Lebens aufs Brot schmieren lassen. Dabei bin ich mir eigentlich nicht mal so sicher, ob nicht mein Spatzel an diesem Malheur Schuld war, schließlich stand er freihändig auf dem Dach und hat meine Aufmerksamkeit statt auf den Weg auf sich gelenkt. Ich stelle mir eine ganz normale deutsche Landstraße vor. Irgendjemand wagt es eine Brücke hochzukurbeln, ohne vorherige Absperrung der Straße, ohne Blinklicht oder rote Ampel, einfach nur senkrecht stellen. Würden wir uns nicht den Lemmingen gleich mit unseren Autos in die Tiefe stürzen? Und wenn dann erst einer hemmungslos die Brücke offen stehen lässt und der ankommende Autofahrer müsste aussteigen und sie runterkurbeln? Auch in Cuzy brechen wir früh auf, die Schuhkartons kratzen schon in den Startlöchern. Geduldig spielen wir unser Spiel erneut, manövrieren ans Ufer, Manfred steigt aus, kurbelt die Brücke hoch, ich ziele drunter durch, übernehme ihn aber noch auf den Brückenpfeilern, denn zu schließen braucht er sie nicht mehr. Und wegen der ganzen Plackerei hat selbst der Himmel heute ein Einsehen mit uns und schiebt eine ordentliche Lage Wolken zwischen die aufdringliche Sonne und uns. Jedoch setzt sie den Wolken so lange zu, bis diese sich leer tröpfeln, sich ihr Inhalt mit der Staubschicht auf der Beluga zu einem schmierigen Belag verbindet und sie sich resigniert wieder verziehen. Schon hat Lady Sunshine wieder freie Sicht nach unten und kann verfolgen was in den französischen Kanälen alles so ab geht. Was sie sieht scheint sie nicht sehr zu amüsieren. Plage Nummer drei lässt nicht lange auf sich warten. In der nächsten Schleuse steht ein Bumsboot. Großes Aufstöhnen. Kollegial wie Charterer nun mal sind, überlässt er uns in der nächsten Schleuse seinen ersten Platz und fährt als letzter ein. Für sein relativ kleines Boot ist es kein großes Problem an nur einem Poller zu hängen, doch für uns fast unmöglich. Trotzdem muss es gehen, in jede Schleuse quetschen wir uns zu dritt. Erschöpft bewältigen wir heute noch das Tagespensum von morgen. Die angenehmen Temperaturen erlauben es endlich mal wieder richtig zu kochen, wenn's auch schon ziemlich spät ist. War Hiob nicht von sieben geplagt? Wenigsten wird aus der Yonne frisches Wasser in den Kanal geleitet und wir lassen die Jauche hinter uns.
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