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Kapitel 4

•   Die Franzosen
•   Auf dem Canal de l’est branche
•   sud   zur   Saône (Vogesen-Kanal)
•   Die Vogesen und Lothringen
•   Neue Bekanntschaften
•   Barbecue
•   Auf der Saône
•   Ausländische Freunde
•   Petit Saone
•   Kabinettstückchen
•   Ländermosaik
•   St. Usage
•   Boatspeople
•   In Burgund- Canal de Bourgogne
•   Dijon
•   Cassis
•   Senf
•   Das Land Burgund
•   Wir erklimmen die Scheitelhaltung
•   Wie im Bilderbuch
•   Der Tunnel
•   Abwärts durch die Einsamkeit
•   Schleusendschungel
•   Ruhetag
•   Flavigny
•   Mit dem Fahrrad zum Barbecue
•   Es geht weiter
•   Alesia
•   Burgundische Wunder
•   Montbard
•   Rast bei Schloss Rochefort
•   Menschen beim Schleusen
•   Tonnerre
•   Die letzten Kilometer im
•   Burgund-Kanal
•   Besuch in der Yonne
•    Das Department Yonne
•   Eingeborene und Gäste
•   Abstecher in die Heimat
•   Canal du Nivernais
•   Viel Verkehr
•   Clamecy
•   Salat
•   Nationalfeiertag
•   Hiobs Brüder
•   Wer sich ärgert büßt
•   für die Sünden anderer
•   So’n Pech
•   Besuch hat sich angekündigt
•   Karl der Käfer
•   Canal lateral a la Loire
•   Sehr krumme Touren
•   Canal du Centre
•   Paray le Monial
•   Fete du Canal

•   Die letzten Kilometer zur Saone

Hiob's Brüder

und sonstige Querelen

 

Trotz der kurzen Nacht starten wir früh, um dem Geklüngel von ca. 30 hier vertäuten Booten zu entgehen. Auch die Schuhkartons mit den Kindern liegen im Kanal.

Bevor wir die Taue einholen, steht der Engländer mit der großen Tjalk an unsem Heck, erzählt mir einen Roman, wie wunderschön er unser Boot fände und er hätte auch mal so eines kaufen wollen und es dann doch nicht gemacht und er könne sich nicht mehr so genau erinnern, wie denn so ein Boot innen aussähe und so geht das Gesülze weiter, bis ich ihn frage, ob er denn reinschauen wolle. Natürlich ziert er sich vornehm englisch, es wäre ja erst acht Uhr, doch das hat ihn ja auch nicht gehindert um diese Zeit bei uns anzuklopfen.

Da wir immer noch neben dem Belgier liegen, muss er über dessen Boot klettern und kaum hat er den Fuß über der Reling, kommt Karl der Käfer mit seinem Yorkshire-Kampfhamster Ramses vom Gassi gehen um die Ecke. Wie ein Berserker geht er sofort auf die arme Haut von Engländer los und ich habe alle Hände voll zu tun, ihn zu beruhigen, damit er ihm nicht an die Gurgel geht oder sich an ihm festbeißt und ihm zu erklären, dass Englishman uns besuchen will. Schwer zu verstehen morgens um diese Zeit, nicht nur für Belgier. Der vornehme Leimi hat doch tatsächlich morgens um acht als er die Schuhe in unserem Boot auszieht tiefschwarze Hornhaut an den Fersen, oben hui, unten pfui?

Karl ist gegen uns Teutonen-Stammbäume ein richtiger Zwerg. So klein wie er ist, so giftig ist er auch. Passt ihm was nicht, z.B. das Geknalle von Feuerwerkskörpern neben unseren Booten am Nationalfeiertag, pumpt er Adrenalin in die Adern, bläht das Brüstchen und kläfft los wie ein Bluthund. Er ist ein harter Brocken. Nein, eher ein Minenfeld, ein verdammtes Kriegsgebiet. Je kleiner die Eidechse, umso größer die Hoffnung ein Krokodil zu werden. Wenn er nicht kaut, dann raucht er und ist dabei dünn wie ein Strohhalm.

Die Hitze kocht uns langsam gar. Verschwunden sind die wogenden grünen Wiesen, Weiden und Felder. Der unbarmherzige Kuss der Sonne lässt nur verbrannte Erde zurück. Die Schimmel-Kühe rotten sich in dem wenigen Schatten der Bäume und Büsche zusammen

Die Flüssigkeit im Kanal ähnelt mittlerweile mehr einer Kloake denn Wasser. Tote, ertrunkene Tiere, Ratten, Rehe und Maulwürfe schwimmen aufgebläht darin. Und was wir aufwühlen würde von Farbe und Geruch jedem Puhlloch zur Ehre gereichen. Manchmal haben wir Grundberührung, doch die Höhe über uns hat bis jetzt immer gereicht. In den Karten ist die Brückenhöhe angegeben mit 2,71 m, wir haben 2,80 m und der Tiefgang mit 1,20 m, wir haben 1,30 m. Also kein Wunder, dass es manchmal untendrunter rumpelt.

 

Haben wir gedacht mit allen Schikanen der Kanalschipperei mittlerweile vertraut zu sein, finden wir uns plötzlich vor einer Hebebrücke wieder. Einige Minuten stehen wir dumm rum, gucken dumm rum, hupen auch ein bisschen dumm rum, bis wir uns erstaunt eingestehen müssen, dass alles nichts nützt, es gibt keinen Brückenmann. Von der anderen Seite klettert ein Charterer auf die Straße, auch er hat gespannt, dass hier „selbst ist der Mann“ von Nöten ist. Völlig überfordert und hilflos hängt er an der Kurbel.

„Fahr mal rechts ran, ich springe raus und gucke was der treibt,“ verkünde ich heroisch.

„Du springst mal sicher nicht ans Ufer, so dabbisch wie du bist, glaubst du ich will dich den Rest des Sommers im Fahrstuhl rumkarren?“

Einmal in 55 Jahren habe ich mir den Fuß gebrochen, sofort hat er mich als schusselig abgestempelt und das muss ich mir jetzt für den Rest meines Lebens aufs Brot schmieren lassen. Dabei bin ich mir eigentlich nicht mal so sicher, ob nicht mein Spatzel an diesem Malheur Schuld war, schließlich stand er freihändig auf dem Dach und hat meine Aufmerksamkeit statt auf den Weg auf sich gelenkt.
Der Gedanke gefällt mir, den werde ich bei Gelegenheit weiterverfolgen.
Na ja, er springt also selber raus, kurbelt die Brücke hoch, ich zirkle drunter durch, er kurbelt sie auch wieder runter und ich sammle ihn dahinter wieder ein. So einfach ist das. Karl der Käfer hat es da schon besser, er braucht nur wichtig zuzugucken.

Ich stelle mir eine ganz normale deutsche Landstraße vor. Irgendjemand wagt es eine Brücke hochzukurbeln, ohne vorherige Absperrung der Straße, ohne Blinklicht oder rote Ampel, einfach nur senkrecht stellen. Würden wir uns nicht den Lemmingen gleich mit unseren Autos in die Tiefe stürzen? Und wenn dann erst einer hemmungslos die Brücke offen stehen lässt und der ankommende Autofahrer müsste aussteigen und sie runterkurbeln?
Unvorstellbar!
Und nicht ein Beamter hätte seine Hände im Spiel?
Anarchie!

Auch in Cuzy brechen wir früh auf, die Schuhkartons kratzen schon in den Startlöchern.
Die uralte Hebebrücke vor dem Hafen steht seit dem Nachmittag offen. Auch die ganze Nacht. Sehr gut!. Die bleibt uns schon mal erspart.
Denkste!
Ein Ranzenträger kommt angedüst, wuchtet seine Wampe auf die Brücke, kurbelt sie runter, zwei riesige Traktoren mit noch riesigeren Anhängern warten schon. Im Schritttempo kriechen sie über die Brücke. Eigentlich erwarte ich, dass diese jeden Moment zusammenbricht, doch es geht alles gut. Hinter der Brücke verschwinden die Gefährte minutenlang im Buschland, dann steht der erste wieder vor der Brücke, aus dem Anhänger ergießt sich eine Flut blökender Schafe hinter die Büsche, der zweite Traktor das gleiche Schauspiel, die Traktoren rumpeln ab, der Schmierbauch flitzt hinterher, die Brücke ist immer noch geschlossen als der ganze Spuck schon längst um die Ecke verschwunden ist.

Geduldig spielen wir unser Spiel erneut, manövrieren ans Ufer, Manfred steigt aus, kurbelt die Brücke hoch, ich ziele drunter durch, übernehme ihn aber noch auf den Brückenpfeilern, denn zu schließen braucht er sie nicht mehr.
Hinter der Brücke verharren in reglosem Staunen vier Bumsboote, beobachten unsere Manöver und als sie sehen, dass die Brücke offen bleibt, strahlen ihre Augen und ich bin sicher, wäre aus Händereiben Energie zu gewinnen, könnten die Franzosen ein Kernkraftwerk vom Netz nehmen.

Und wegen der ganzen Plackerei hat selbst der Himmel heute ein Einsehen mit uns und schiebt eine ordentliche Lage Wolken zwischen die aufdringliche Sonne und uns. Jedoch setzt sie den Wolken so lange zu, bis diese sich leer tröpfeln, sich ihr Inhalt mit der Staubschicht auf der Beluga zu einem schmierigen Belag verbindet und sie sich resigniert wieder verziehen.

Schon hat Lady Sunshine wieder freie Sicht nach unten und kann verfolgen was in den französischen Kanälen alles so ab geht. Was sie sieht scheint sie nicht sehr zu amüsieren.
Noch vor der Mittagspause haben wir es in den kleinen Hafen von Chitry-les-Mines geschafft. Im hintersten Eck liegen wir vertäut, zufrieden mit dem guten Platz und hoffend, dass wir am Nachmittag im Ort ein Brot ergattern können. Manfred hat es sich auf seiner Couch bequem gemacht, ein Mittagsschläfchen nach der Brücken-Plage des Vormittags sei ihm gegönnt.
Unsere Sonne scheint nicht nur grell, sie scheint sich auch wieder zu erinnern, wie lustig es damals war, mit Hiob.
Und flugs ist Plage Nummer zwei im Anmarsch.
Mein Aufschrei reißt meinen Spatzel aus Orpheus' Armen, in denen er selig schlummernd bestimmt von Schweinsbraten und Côte de Bœuf geträumt hat: „Manfred wach auf, die Chaoten kommen und haben Rammkurs auf uns.“
Ich stehe bereits auf dem Vorschiff und klammere den Fender, als sich zwei der Schuhkartons gemeinsam und gleichzeitig vor uns in eine Lücke drängen, die einfach zu kurz für sie ist. Die Kinder drücken mit verschreckten Augen, ich schiebe, Manfred stemmt ab, doch es nützt alles nichts, sie zerkratzen uns die Scheuerleiste, gottseidank nur die Scheuerleiste, mein Fender verhindert schlimmeres.
Manfred tobt und flucht und schreit, Stuhlgang der Seele. Die Kinder gucken noch verschreckter, die Angelegenheit ist nicht mal zwischenmenschlich zu regeln, die Erzieher zucken nur die Schultern.
Ein schönes Vorbild!!
Am ärgerlichsten ist die Machtlosigkeit. Was soll man denn machen, die Polizei rufen? Sich der französischen Bürokratie bedienen, in einer Sprache, die man nur ganz schwer radebrechen kann? Im wilden Westen durfte man sie wenigsten noch erschießen.
Es wäre vieles zu verzeihen, wenn nicht Absicht dahinter stünde. Sich mich Gewalt Platz schaffen, auch auf die Gefahr andere zu beschädigen ist asozial. Noch nicht mal ein Wort der Entschuldigung. Wir strafen das Chaos mit Ignoranz und legen mit einem schwierigen Manöver, unser Bug ist von einem der Chaoten ans Ufer gepresst, ab und flüchten mit zornigem Herzen. Letzte Nacht durften wir das Getrommel und die Gesänge der Jugend genießen und nachts um drei ist das Chaoten-Begleitauto noch auf dem Treidelfahrt rumgerast. Auf hoffentlich nimmer Wiedersehen.

Plage Nummer drei lässt nicht lange auf sich warten. In der nächsten Schleuse steht ein Bumsboot. Großes Aufstöhnen.
Heute bleibt uns wirklich nichts erspart. Der Charterer genießt das, was sonst uns vorbehalten bleibt: die einschießenden Wassermassen im vorderen Teil der Schleuse. Es beutelt ihn hin und her und mit unkontrolliertem Gasgeben versucht er gegenzusteuern unter ständigem Geschimpfe mit dem Schleusenwärter.
Beim Verlassen der Schleuse quetscht die Sonne schnell mal eine Wolke über uns aus, Plage Nummer vier.
Ein Platzregen stürzt auf uns herab. In Sekundenschnelle sind wir nass bis auf die Haut. Ich renne nach unten. Was hat Priorität? Natürlich mein Spatzel. Schnell reiße ich seine Regenjacke vom Haken, werfe sie rauf, dann hetze ich zum Computer, der auf dem Esstisch unter dem Fenster steht, bevor ihn die einschießende Springflut unbrauchbar macht.
Und Plage Nummer fünf, bis ich ins Schlafzimmer komme ist mein Kissen schon tratschnass. Als alle Fenster geschlossen sind, hört der Regen schlagartig wieder auf.
Danke, Wettergott.

Kollegial wie Charterer nun mal sind, überlässt er uns in der nächsten Schleuse seinen ersten Platz und fährt als letzter ein. Für sein relativ kleines Boot ist es kein großes Problem an nur einem Poller zu hängen, doch für uns fast unmöglich. Trotzdem muss es gehen, in jede Schleuse quetschen wir uns zu dritt. Erschöpft bewältigen wir heute noch das Tagespensum von morgen.

Die angenehmen Temperaturen erlauben es endlich mal wieder richtig zu kochen, wenn's auch schon ziemlich spät ist.
Plage Nummer sechs?
Klar, Manfred schüttet unsere Nudeln neben das Sieb ins Spülbecken.

War Hiob nicht von sieben geplagt?
Vielleicht wird eine für die Belustigung von morgen aufgespart?

Wenigsten wird aus der Yonne frisches Wasser in den Kanal geleitet und wir lassen die Jauche hinter uns.

 

 


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