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Kapitel 4

•   Die Franzosen
•   Auf dem Canal de l’est branche
•   sud   zur   Saône (Vogesen-Kanal)
•   Die Vogesen und Lothringen
•   Neue Bekanntschaften
•   Barbecue
•   Auf der Saône
•   Ausländische Freunde
•   Petit Saone
•   Kabinettstückchen
•   Ländermosaik
•   St. Usage
•   Boatspeople
•   In Burgund- Canal de Bourgogne
•   Dijon
•   Cassis
•   Senf
•   Das Land Burgund
•   Wir erklimmen die Scheitelhaltung
•   Wie im Bilderbuch
•   Der Tunnel
•   Abwärts durch die Einsamkeit
•   Schleusendschungel
•   Ruhetag
•   Flavigny
•   Mit dem Fahrrad zum Barbecue
•   Es geht weiter
•   Alesia
•   Burgundische Wunder
•   Montbard
•   Rast bei Schloss Rochefort
•   Menschen beim Schleusen
•   Tonnerre
•   Die letzten Kilometer im
•   Burgund-Kanal
•   Besuch in der Yonne
•    Das Department Yonne
•   Eingeborene und Gäste
•   Abstecher in die Heimat
•   Canal du Nivernais
•   Viel Verkehr
•   Clamecy
•   Salat
•   Nationalfeiertag
•   Hiobs Brüder
•   Wer sich ärgert büßt
•   für die Sünden anderer
•   So’n Pech
•   Besuch hat sich angekündigt
•   Karl der Käfer
•   Canal lateral a la Loire
•   Sehr krumme Touren
•   Canal du Centre
•   Paray le Monial
•   Fete du Canal

•   Die letzten Kilometer zur Saone

Abstecher in die Heimat

 

Till , Sohn Nummer 1 ist wahrhaftig kein Frühaufsteher, doch wenn's gilt, ist er hellwach. Als ich um halb zehn von der Charterstation komme, bei der ich uns verabschiedet und den Liegeplatz bezahlt habe, hat er schon über 500 km hinter sich und hilft cool und lässig seinem Vater unsere Habseligkeiten ins Auto zu laden.
Auf Frankreichs Autobahnen kann man wieder Freude am Autofahren finden, sie sind in hervorragenden Zustand, wenig befahren aber teuer. Immerhin kommen wir völlig stressfrei nach Saarbrücken, werden dort im ehemaligen Zollbereich in Schritttempo abgestoppt, damit wir uns problemlos in die Blechschlange in Deutschland einreihen können. Selbst in unserem hervorragend gefederten Citroen ist der miserable Zustand der Fahrbahn zu spüren und eine Geschwindigkeitsbegrenzung brauchen die Deutschen wirklich nicht einzuführen, schneller als 100 ist eh selten drin. Fast eine Stunde stehen wir uns Flachstellen in die Pneus, bis wir endlich durch unsere Mamut-Dauer-Baustelle hindurch sind und um drei mit einem Hechtsprung ins Büro eintauchen.
Um fünf ist die Übergabe besprochen und ich verjage Sohn Robin endlich in seine wohlverdienten Ferien. Um sechs enthebe ich unseren Verkäufer der schweren Bürde seiner Verantwortung und wünsche ihm für sein weiteres Berufsleben alles Gute. Um sieben rase ich zum Supermarkt, damit wir zum Frühstück wenigsten einen Kanten Brot haben. Samstagmorgen studiere ich zwischen den Kundenberatungen das Prospekt unseres neuen Modells Pluriel, um wenigsten so tun zu können, als hätte ich irgend eine Ahnung. Um eins sitzen wir beide in dem neuen Auto um eine Probefahrt zu machen und die neue Halbautomatik auszuprobieren. Sensodrive, schalten wie Schumi !! Doch ganz so leicht fallen die Spatzen nicht von der Kirchturmspitze.

Manfred dreht den Schlüssel, nichts passiert. „Der springt ja gar nicht an, das geht ja schon gut los.“ Er sucht die Ganganzeige im Armaturenbrett. Schiebt den Joystick in jede Richtung. Endlich erscheint das „N“. Dreht den Schlüssel, nichts passiert. Ach, ja, bei Automatik muss man ja die Bremse treten. Tatsächlich, schon brummt der Motor. Es geht los. Irgendwas piepst wie verrückt.

„Was piept denn da so irre?“

„Schnall dich an!“Plärrt er mich an.

Ich bin angeschnallt. Ich schnalle mich immer an, bevor ich los fahre!“

Der Mann nervt. Mit der Linken lenkt er in den Kreisel, der Gurtwarner piepst, mit der Rechten sucht er nach dem Gurt. Ich sehe mich bereits im Chaussee-Graben.

„ Mensch pass doch auf, das Auto brauch ich nächste Woche für die Ausstellung.“

Endlich ist er angeschnallt, das schrille Piepsen hört auf, da hat er schon wieder eine Hand am Knopf des Cabrio-Verdecks. Er dreht den Knopf im Kreis, rechts rum, links rum, wieder zurück, das Verdeck fährt zurück, fährt vor, wieder zurück.

Streng stelle ich fest: „Du nimmst jetzt beide Hände ans Lenkrad und ich mache das Verdeck auf und zu.“ Knurrend kümmert er sich um die Schaltung, mit dem Joystick vor und zurück, dann mit den kleinen Hebeln am Lenkrad hoch und runter, alles muss ja ordentlich getestet werden. Mich reißt's bei jedem Schaltvorgang im Gurt vor und zurück, bis mir fast übel ist.

„Mach das Verdeck zu, mir verschmilzt ja das Gehirn und die Sonne scheint mir hinter die Sonnenbrille.“ Also da kann ich absolut sicher sein, als Cabrio-Fahrer macht mein Spatzel keine Teenies an. Ein zauberhaftes kleines Auto, doch für Gruftis weder ein Jungbrunnen noch das Ei des Kolumbus.

Am Montag fällt die EDV im Betrieb aus, ich kann keinem Interessenten mehr eine Finanzierung ausrechnen, die Datenübertragung, Internet und E-Mail sind platt. Um zwölf habe ich bereits mit drei säumigen Kunden telefoniert und eine kurze Betriebsversammlung hinter mir, um vier circa 30 Telefongespräche beantwortet, mich über die Begrüßung von mehreren Stammkunden gefreut und zwei neue Krankengeschichten angehört, um fünf habe ich mich mit unserem technischen Außendienst gezofft, um halb sechs stehe ich vor einem Nervenzusammenbruch.
Glücklicherweise sind wir fast täglich bei einem anderen Bekannten eingeladen, so dass ich wenigsten nicht kochen muss, wenn ich um sieben auf dem Zahnfleisch aus dem Büro krieche.
Der Verlauf der Woche beschert mir einen Transportschaden an einem Neuwagen, den ich am nächsten Tag ausliefern soll, der Durchzug im Ausstellungsraum reißt so stark an der Sommerdekoration, dass sich ein Teil verabschiedet und eine Delle in einen Ausstellungswagen schlägt, der Computer im Verkaufsraum ist halbwegs wieder einsatzbereit, dafür lässt sich der im Lager nicht mehr hochfahren. Die Ersatzteillieferung ist schleppend, bei jeder zweiten Lieferung fehlen die Lieferscheine. Trotz Versprechen des Kunden geht das Geld für einen Gebrauchtwagen nicht ein.
Am Wochenende ist Tag der offenen Tür angesagt. Manfred macht die Bewirtung, belegt Häppchen und kocht Kaffee, verköstigt einige Hundert Besucher. Am Sonntag verlasse ich um 20.30 Uhr den Laden, nachdem ich mich mit einem Kunden eine Stunde laut im Hof gestritten habe, wir uns gegenseitig als Halsabschneider, Wucherer, Gangster und Bandit beschimpft haben, sind wir uns per Handschlag einig geworden. Er hat ein wunderbares Auto, wir ein Problemkind weniger und alle sind glücklich. Nur unsere Nachbarn gegenüber, die waren offenen Mundes am Zaun stehend solche Geschäftsabschlüsse wirklich nicht gewohnt.
Unsere Nächte sind kurz und schwitzig, die Abläufe des Tages schlenkern in meinem Kopf wie ein Kettenkarussell und lassen mich nicht zur Ruhe kommen. Am Ende der zweiten Woche zuckt der kleine Nerv an meinem rechten Auge und ich zeige schon wieder alle Anzeichen von Stress. Wir haben zwei völlig normale Arbeitswochen hinter uns. Wie konnten wir das nur mehr als 30 Jahre durchhalten?

Ich weiß es, es sind die Menschen. Mit Menschen umzugehen ist etwas wunderbares und kann doch so schrecklich nervig sein.

Der alte Knodderer, am ganzen Körper von einer Psoriasis blühend, hat es genossen stundenlang mit mir herum zu streiten und einen Gegner zu finden, der nicht klein bei und ihm Kontra gibt.

Der junge Wasserpolizist hat es genossen am Telefon mit mir Wortgefechte auszuführen, zu feilschen und mehrere Händler gegeneinander auszuspielen. Am Ende hatten wir beide das Gefühl ein gutes Geschäft gemacht zu haben. Seine hübsche Frau hat ein kleines Baby auf dem Arm, so winzig, dass ich sofort sage: „Das sieht ja aus wie frisch geschlüpft!“ „Er ist schon sechs Wochen alt, aber er kam sechs Wochen zu früh, so kann man sagen, dass er eigentlich erst drei Tage alt ist.“ Antwortet mir die Mutter gut gelaunt. Und genauso sieht der kleine Mann auch aus. Die kleine Familie findet ihr neues Auto einfach geil. So muss es sein.

Dem kleinen Kreischhals der Tuppertante blieb buchstäblich vor Staunen die Spucke weg, als ich sie mit strengen Worten und erhobenem Zeigefinger aufforderte: „ Du hast jetzt Sendepause!“ Immerhin konnten wir zwischen zwei Plärrern den Kaufvertrag ausstellen.

Dem schwarzhaarigen Zuckerpüppchen aus dem Hinterland konnte man nicht ansehen wie ehrgeizig und selbstbewusst sie ist. Sie wusste genau welches Auto zu ihr passt und hat gut gewählt.

Das Ehepaar, das am Samstag das schönste Auto in unserem Laden gekauft hat, konnte sich gar nicht mehr von uns trennen, als ich unser Auslieferungszertifikat in die Windschutzscheibe gehängt habe: Auf dieses Auto freut sich Familie S. Mit rosa Sekt mussten sie immer wieder auf ihr Glück anstoßen.

Die große Blonde, mit den klassischen Gesichtzügen einer nordischen Göttin hat einen Mann, dessen Aussehen an einen putzigen rothaarigen Kobold erinnert, ein Pärchen wie es unterschiedlicher nicht sein könnte aber unheimlich viel Harmonie ausstrahlt und sich freut wie Kinder über ihr neues Auto, das vielleicht erst in drei Monaten kommt.

Voller Mitgefühl lasse ich mir das Elend und den Kampf mit dem Krebs einer Kundin erzählen, die ihren Sieg feiert in dem sie sich ihr Wunsch-Auto gönnt.

Der flotte junge Architekt, der extra fast 50 km gefahren ist, weil ihm meine Stimme am Telefon schon so sympathisch war. Ein cleverer, fescher Bursche, wir haben geflirtet und geschäkert und er war happy, dass ich seinen Sohn so niedlich fand. Leicht hätte er vom Alter her mein Sohn sein können.

Schwieriger war es mit meinem Universitätsprofessor. Seine Allwissenheit rangiert direkt neben Gottvater. Er hat den Charme und die Ausstrahlung eines Spazierstocks. Aber er hat eine zauberhafte Frau und eine bildschöne Tochter. Wir alle waren mit unserem hart erkämpften Geschäft zufrieden und mein Doktor Senkrecht krümmte sich vor Lachen, als ich ihnen die Geschichte unserer ersten Probefahrt im Pluriel mit viel gestenreichem Pathos erzählt habe. Also doch menschlich.

Mit Menschen umzugehen ist spannender als jeder Krimi und unterhaltsamer als jeder Abenteuerroman.

Zurück an Bord brauchen wir zwei Tage Entspannung und Ausschlafen, auch der kleine Nerv legt sich zur Ruhe, wir sind wieder unterwegs.

 

Der Todeskampf einer Treidel-Peniche in einem Seitenarm der Yonne.

Ein großer Krieger stirbt nicht, er vergeht.

 

 


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